Hans Christian Andersen, ein großer europäischer Märchenerzähler und das Jante Gesetz

*Der Ausdruck Janteloven bzw. Jantelagen ist in allen skandinavischen Ländern gebräuchlich und allgegenwärtig (Besuchern wird dies durch eine weit verbreitete und ausgeprägte Gleichbehandlung aller Menschen vor Augen geführt). Das Jantegesetz beschreibt die kulturellen und politischen Umgangsformen, nach denen es verpönt ist, sich selbst zu erhöhen oder sich als besser und klüger darzustellen als andere.

Eine Jante ist im Dänischen ein kleines Geldstück, vergleichbar mit dem Begriff Groschen im Deutschen. Das Jantegesetz ist also sozusagen das „Gesetz der recht und billig Denkenden“.

Obwohl das Gesetz den Zehn Geboten nachempfunden ist und aus zehn Regeln besteht, ist  es nicht wirklich daraus abgeleitet sondern wird als eigenständige Einheit gesehen:

•          Du sollst nicht glauben, dass du etwas bist.

•          Du sollst nicht glauben, dass du genauso viel bist wie wir.

•          Du sollst nicht glauben, dass du klüger bist als wir.

•          Du sollst dir nicht einbilden, dass du besser bist als wir.

•          Du sollst nicht glauben, dass du mehr weißt als wir.

•          Du sollst nicht glauben, dass du mehr bist als wir.

•          Du sollst nicht glauben, dass du zu etwas taugst.

•          Du sollst nicht über uns lachen.

•          Du sollst nicht glauben, dass sich irgendjemand um dich kümmert.

•          Du sollst nicht glauben, dass du uns etwas beibringen kannst.

Andersen wurde von dem Gefühl geplagt, dass die bürgerliche Gesellschaft in Kopenhagen ihn wegen seiner ärmlichen Herkunft und ohne einen guten Familiennamen nicht vollständig akzeptierte. Seine Stücke wurden von der Theaterleitung aus „Mangel an Stil“ abgelehnt und während seines ganzen Lebens erhielt er harsche Kritik für seine Schriften. Er schreibe zu viel mit seinem Herzen auf der Zunge. Er galt als zu sentimental und wurde oft als ein guter Improvisator anerkannt, dem aber die Tiefe in seinen Werken fehle, vom Volk werde er zu Unrecht honoriert. In Wahrheit war er seiner Zeit voraus und  bezog seine Quellen der Inspiration von Autoren in ganz Europa, während die dänische Theaterszene in einer Form des romantischen Neoklassizismus stecken blieb. Im Ausland wurde er gefeiert und das weckte in ihm die Vorstellung vom kalten Norden, der ihn kritisierte und dagegen dem warmen Süden (Deutschland und darüber hinaus), wo er gefeiert wurde.

Aus deutscher Sicht zählt Andersen zu den ganz wunderbaren Märchenerzählern, vielleicht war er sogar der Größte überhaupt. Wer kennt nicht die Geschichte vom hässlichen Entlein. Wir werfen ein kurzes Streiflicht auf den Schriftsteller. Im Museum von Odense kann man während eines Besuchs weitere, tiefer gehende Erkenntnisse über Andersen gewinnen.

Als armes Kind im kleinen, aber selbstzufriedenen provinziellen Zentrum von Odense geboren, machte Andersen während der ersten vierzehn Jahre seines Lebens Erfahrungen, die sich prägend auf sein literarisches Schaffen auswirkten. In seiner Autobiographie über seine Jugendzeit „Levnedsbogen“ hob Andersen hervor, dass alte Sitten und Aberglaube, in denen sich die Odenser Lebensart spiegelte, seine Phantasie zu farbenfrohen Geschichten stimulieren vermochte. So etwas war in Kopenhagen unbekannt. Noch entscheidender waren jedoch seine beunruhigenden sozialen Erfahrungen, auf der niedrigsten Stufe der Gesellschaft aufzuwachsen. Es drängte ihn, mit seinem sozialen Erbe, der Armut zu brechen um sein Potential durch die Kunst zu entfalten, was ihm als der einzige Ausweg aus dem Dilemma zu sein schien und seine Kindheit zunehmend bestimmte.

Dänemark und Europa

Andersens Reisen von Odense nach Kopenhagen setzten sich später fort als ein lebenslanges Pendeln zwischen Dänemark und dem Rest von Europa, wobei Deutschland im Besonderen zu seiner zweiten Heimat wurde. Gleichzeitig pflasterten diese Reisen den Weg zu seinem internationalen literarischen Ruhm. Andersen fühlte sich auch andernorts in Europa zuhause. Italien beeindruckte ihn durch die Natur, die Lebensart und die Kunst. Andersens Verhältnis zu Dänemark war ambivalent. Einerseits war es ein Land, ohne das er nicht auskommen konnte, aber welches er manchmal für seine Kleinlichkeit zutiefst verabscheute. Er war das erste große Opfer dessen, was später unter dem Begriff Jantelov*, bekannt wurde und dem auch Søren Kierkegaard in den späteren Phasen seiner Werke zum Opfer fiel. Aber im Gegensatz zu Kierkegaard, welcher nie weiter als bis nach Berlin reiste, wurde Andersen zum meist gereisten dänischen Schriftsteller seiner Tage. Insgesamt ging er auf neunundzwanzig Auslandsreisen und verbrachte über neun Jahre seines Lebens außerhalb Dänemarks.

Ruhm

Andersens literarischer Ruhm wuchs rasch ab der Mitte der 1830er Jahre, als seine Romane in Deutschland auflagenstark verbreitet wurden. Ab 1839 waren es die Märchen, die ihm einen ziemlich außergewöhnlichen Namen in diesem Land verhalfen. Ab Mitte der 1840er Jahre erfolgte der Durchbruch in England und Amerika, sowohl durch seine Märchen als auch durch seine Romane.

“ ich singe nicht – mein Herz schlägt zu heftig „!

Andersen war zu der Zeit, als er die Geschichte „die Nachtigall“ schrieb, verliebt. Der kleine Singvogel haucht Leben in den Sterbenden ein, genauso wie die schwedische Sopranistin Jenny Lind seine Gefühlswelt erhellte. Einen Monat bevor er diese Geschichte schrieb, hatte sich Andersen Hals über Kopf in die „schwedische Nachtigall“, wie sie genannt wurde, verliebt. Andersen wurde Jenny Lind im September 1843 im Haus von August Bournonville, dem Ballettmeister, vorgestellt. Damals wurde ein Versuch unternommen, sie dazu zu überreden, eine Gastvorstellung am königlichen Theater in Kopenhagen zu geben. Bei dieser Vorstellung gelang Jenny Lind der Durchbruch zu internationaler Anerkennung.

Wir können Andersens Gefühle nachverfolgen, weil er sie in einem kleinen Notizbuch niedergeschrieben hatte. Wir lesen, wie sich die Emotionen des Dichters steigerten: “Verliebt“, „Eifersucht“, „Heiratsantrag“, „Ich liebe sie“ und:  „Übergab ihr einen Brief, den sie verstehen muss. Ich bin verliebt „.

Die letzte Bemerkung kann nicht anders interpretiert werden, als dass Andersen der schwedischen Sängerin einen schriftlichen Heiratsantrag machte. Leider existiert der Brief heute nicht mehr, aber es gibt eine Sammlung von Gedichten*, welche er ihr kurz zuvor überreicht hatte und ihr dabei zärtlich seine Liebe erklärte.

Es gibt keine Anzeichen, dass Jenny Lind den Brief, den Andersen ihr bei ihrer Abreise gab, beantwortet hat. Zwei Jahre später, im Oktober 1845, als sowohl Andersen als auch Jenny Lind den Zenit ihres Ruhms erreicht hatten, gelang es ihr während eines Festessens im Hotel Royal, den Antrag Andersens elegant abzuweisen. Bei diesem Anlass übergab sie August Bournonville eine kleine Silbertasse mit der Inschrift: „Für Ballettmeister Bournonville, der wie ein Vater für mich in Dänemark gewesen ist, meinem anderen Heimatland.“

Herr Bournonville dankte Jenny Lind und sagte zu ihr, dass nun alle Dänen wie seine Kinder wären und damit zu ihren Geschwistern würden.“

Jenny Lind antwortete amüsiert: „Das wären zu viele für mich, ich würde viel lieber nur einen als meinen Bruder wählen.“

Ein Glas Champagner in ihrer Hand haltend, ging sie zu Andersen und prostete ihm zu: „Auf die Gesundheit mein Bruder“. Andersen bewahrte das Champagnerglas als eine bittersüße Erinnerung, ausgestellt in seinem Wohnzimmer, bis zu seinem Tode auf.

Aus Freude am Musizieren zum Retter in der Not

Lesen Sie hier über den folgenreichen Besuch einer Ärztin die ursprünglich auf die Färöer-Inseln kam, um Geige zu spielen.

Der Carnitin-Transporter-Mangel (CTD) ist eine seltene Erbkrankheit, die, wenn nicht erkannt, zum vorzeitigen Tod führen kann. Es handelt sich hier um eine Stoffwechselstörung die vermehrt auf den Färöer-Inseln auftritt, aber lange Zeit unentdeckt blieb. Zu den Menschen, die entscheidend zur Überwindung dieser Geisel beitrugen, zählt Frau Dr. Ulrike Steuerwald aus Hannover.

Ihr waren die Färöer-Inseln bereits bekannt als sie im Rahmen eines zehnjährigen Jubiläums des Sinfonieorchesters, bei dem sie Geige spielte, 1993 die Einladung erhielt an einer Aufführung in Tórshavn teilzunehmen. Dort erfuhr sie von der einzigen leider unbesetzten Stelle des Kinderarztes und wurde prompt von Pál Weihe, dem damaligen Leiter des Krankenhauses, ersucht, hier eine Lücke zu schließen. Die Not war so groß, dass Kinder mit besonders schweren Erkrankungen nach Kopenhagen zur Behandlung ausgeflogen werden mussten. Zu dieser Zeit hatte Frau Dr. Steuerwald ein Stellenangebot in Washington DC (USA), änderte aber ihre Pläne, sehr zur freudigen Erleichterung von Páll. So kam es, dass Frau Dr. Steuerwald anstatt nach Amerika für ursprünglich vorgesehene vierzehn Monate auf die Färöer-Inseln zog. Nach dieser Zeit war man von ihren Fachkenntnissen so sehr angetan, so dass sie blieb und insgesamt fünf Jahre auf den Färöern praktizierte. Kinderärzte in Dänemark wurden damals besser in Allgemeinmedizin, also mit breiterem Wissen unterrichtet, dafür weniger in der spezialisierten Behandlung und Versorgung von Neu- und Frühgeborenen. Kurzum, die Ärztin blieb bis 1998 auf den Inseln und kommt seitdem regelmäßig, um Stoffwechselpatienten zu betreuen und um im Rahmen von groß angelegten, international geförderten Studien die Auswirkungen von Umweltgiften zu untersuchen. 

In ihrem Studium lernte sie, wenn Erkrankungen bei Kindern atypisch verlaufen, die Möglichkeit von Stoffwechselerkrankungen im Blick zu haben, insbesondere in kleinen, abgegrenzt lebenden Bevölkerungen.

„So kam es, dass ich bei scheinbar normalen Infekten weitergeschaut habe“, berichtet Frau Dr. Steuerwald. Genetik war zu dieser Zeit nicht sehr populär bei den Färingern. Erst als es möglich wurde, eine andere für die Inseln typische Erkrankung anstatt durch eine Leberpunktion durch eine einfache Blutuntersuchung zum Nachweis einer bestimmten genetischen Auffälligkeit zu diagnostizieren, änderte sich diese Sichtweise.

Erstmals wurde Dr. Steuerwald 1995 auf die eingangs erwähnte Stoffwechselerkrankung aufmerksam. Bei einem jungen Patienten konnte durch Blutanalyse festgestellt werden, dass es sich um den Carnitin-Transporter-Mangel handelte. In der Folge wurden weitere Kinder mit dieser Krankheit gefunden.

„Meist muss man nicht weiter als sechs Generationen zurück gehen, um einen gemeinsamen Vorfahren unter scheinbar Fremden auf den Inseln auszumachen“, erklärt die Ärztin. Damit ist die Gefahr des Auftretens von Erbkrankheiten deutlich höher als in bevölkerungsreichen Gemeinschaften.

Es vergingen aber noch Jahre, bis eine Methode zur systematischen Erkennung der Krankheit entwickelt und eingesetzt werden konnte. Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland (1998) widmete sich Frau Dr. Steuerwald einem Zusatzstudium mit Schwerpunkt Prävention im Gesundheitswesen. Im Rahmen dieser Ausbildung absolvierte sie ein Praktikum in einem Speziallabor in Hannover, in dem sie in die neue Untersuchungsmethode eingeführt wurde, mit der auch ein Carnitinmangel im Blut von Neugeborenen nachgewiesen werden kann. Diese Untersuchungstechnik wird seit 2002 auch in Dänemark angewendet – dort wird das Neugeborenen-Screening der färöischen Babys standartmäßig durchgeführt.

2008 und 2009 verstarben zwei junge färöische Erwachsene, bei denen als Todesursache ein schwerer Carnitinmangel durch einen Carnitin Transporter-Defekt (CTD) festgestellt wurde. Daraufhin wuchs in der Bevölkerung der dringliche Wunsch, Möglichkeiten zu schaffen, um von der Krankheit betroffene Menschen schnell ausfindig zu machen, denn der Verdacht, dass es sich um eine häufig auftretende Krankheit handelte, erhärtete sich. Die Krankheit kann nämlich recht gut und nebenwirkungsfrei durch die regelmäßige Einnahme eines Medikamentes in Form von Saft oder von Tabletten behandelt werden. 

Nach einer längeren Debatte, wie man die Erkrankung sicher und kostengünstig bei allen Interessierten aufdecken könnte, entschied sich das Land, Carnitin in Trockenblut-Proben messen zu lassen – eine einfache und dennoch ziemlich fehlerfreie Methode. Der Andrang für die Blutentnahme bei den färöischen Laboren war überwältigend. Zu Hunderten standen die Menschen Schlange! 

Leider war es nicht möglich, die Untersuchung den Bürgern kostenfrei anzubieten und die Landeskasse bezahlen zu lassen, das hätte das Budget des Gesundheitsresorts zu stark belastet. Aber das Labor in Hannover bot den Test für einen sehr niedrigen Preis an, der nur die tatsächlichen Materialkosten deckte auf Vermittlung von Frau Dr. Steuerwald und als eine großzügige Geste von Professor Sander, dem damaligen Laborleiter.  Solche Vorsorge-Untersuchungen werden vom färöischen Gesundheitswesen eigentlich kostenfrei angeboten, daher musste eigens für dieses Projekt eine Gesetzesänderung im Thing – dem färöischen Parlament – vorgenommen werden. Nach der Blutentnahme wurden die Proben nach Deutschland verschickt. Ergab sich bei der Untersuchung ein dringlicher Krankheitsverdacht, erfolgte eine telefonische Rückmeldung an die Klinik in Tórshavn. Dort wurden die Betroffenen unverzüglich einbestellt und erhielten lebensrettende Behandlungen. 

Pál Weihe lobte die altruistische Einstellung der Ärztin. Sie selbst erklärte gegenüber dem Nordlandführer, dass sie es mit der reinen Behandlung nicht bewenden ließ. Sie nahm sich die Zeit, um in Abendkursen den Patienten die Auswirkungen und die Konsequenzen bei Nichteinnahme der Medikamente zu erläutern und verbreitete so das Verständnis um die Krankheit. Eine Initiative die von den Färingern hochgeschätzt wird.

Kein Wunder, dass die meisten Färinger „Ulrike und CTD“ kennen. Manche sprechen die Ärztin sogar einfach an wo auch immer sie ihr begegnen und erzählen ihr, dass die Frau Doktor ihnen bei der Geburt eines Kindes half, oder wie sie ihr Asthma krankes Kind behandelt hatte. Sie fühlt sich nach eigener Aussage heute genauso auf den Färöer-Inseln zuhause wie in ihrer Heimat Hannover.