Warum gibt es in Schweden so viele Schießereien und Bombenanschläge?  

Ein Beitrag von Ann-Marie Hedberg Kikuchi

Schweden kämpft seit Jahren mit Bandenkriminalität, doch der jüngste Anstieg war außergewöhnlich. Schießereien und tödliche Bombenanschläge wiederholten sich täglich. Der Polizeichef Anders Thornberg sagte kürzlich: „Es ist die größte Gewaltwelle, die wir jemals im Land erlebt haben.“  

Diese Gewalt ist Terror. Es ist nicht normal, solche Explosionen in einem Land ohne Krieg zu erleben.  

Schweden ist das einzige Land in Europa, in dem tödliche Schießereien deutlich zugenommen haben. Es gehörte zu den Ländern mit einer der niedrigsten Waffengewaltraten in Europa. Aber jetzt sehen wir einen der höchsten Werte in nur zwei Jahrzehnten.  

Premierminister Ulf Kristersson, der nach einer von Debatten über Bandenkriminalität geprägten Wahl an die Macht kam, sagt: „So etwas hat Schweden noch nie erlebt. Kein Land in Europa hat so etwas erlebt.“  

Viele haben Angst nach dieser Mord- und Explosionsserie. In Eskilstuna wurden im August 2022 eine Mutter und ein Kind angeschossen und verletzt. Sie gerieten ins Kreuzfeuer zweier Banden, die aufeinander schossen. Nach dem Angriff sagte der Vater des Kindes gegenüber der Zeitung Dagens Nyheter: „Wie können wir an einem Ort leben, an dem Kinder Gefahr laufen, auf einem Spielplatz erschossen zu werden? Es gibt keine Sicherheit mehr“ – ein Gefühl, das bei vielen von uns Schweden nachhallt.  

Was ist mit unserem friedlichen Land passiert? Was ist die Ursache für Schwedens Problem mit der Bandenkriminalität?  

Das zugrunde liegende Problem muss aufgedeckt werden: Leute konsumieren Drogen. Die kriminellen Banden streiten sich um Kunden. Wenn niemand Drogen konsumieren und kaufen würde, würden Banden und Drogendealer ihr Einkommen verlieren. Aber überall auf der Welt konsumieren Menschen Drogen. Warum kommt es in Schweden zu all dieser Gewalt? Es gibt nicht nur eine Antwort, sondern mehrere. Es ist eine komplexe Situation. Aber hier werde ich einige der Gründe nennen.  

Die Armut hat zugenommen.  

Die schwedische Zeitung Dagens Nyheter veröffentlichte eine Analyse aller seit 2017 wegen Waffendelikten verhafteten oder strafrechtlich verfolgten Personen. Etwa fünfundachtzig Prozent waren im Ausland geboren oder hatten mindestens einen Elternteil, der im Ausland geboren wurde. Etwa einundsiebzig Prozent gehörten zur niedrigsten Einkommensgruppe des Landes.  

Früher war Schweden ein wirtschaftlich gleichberechtigtes Land ohne große Ausschläge nach unten oder oben, doch heute gibt es große Einkommensunterschiede. Mehr junge Menschen haben Eltern, die außerhalb der EU geboren wurden und noch nicht so in der Gesellschaft etabliert sind wie Schweden es sind. Und dann sehen diese jungen Leute, meist Jungen, wie Drogendealer an Geld, teure Autos und Schmuck kommen. Diese Gangster haben es geschafft, sie sind nicht mehr arm und werden zu Vorbildern. Vieles von dem, was passiert, geschieht für Geld und einem Leben mit Status.  

Die fehlende Integration der Einwanderer führte zur Entstehung von Parallelgesellschaften.  

Diese Gewalt wurde teilweise mit der unzureichenden Integration der Migrantenbevölkerung in Schweden in Verbindung gebracht. Schätzungen zufolge wurden zwanzig Prozent der 10,5 Millionen Einwohner Schwedens im Ausland geboren. Es gibt europäische Migranten, aber auch aus Ländern wie Syrien, Somalia, Irak und Afghanistan. Die frühere Premierministerin Magdalena Andersson erklärte, dass „die Integration schleppend voranging, während wir gleichzeitig eine große Einwanderung hatten“, was zu „Parallelgesellschaften in Schweden“ mit „völlig unterschiedlichen Realitäten“ führte. Diese sogenannten „Parallelgesellschaften“ haben Lücken geschaffen, in denen kriminelle Banden florieren und in der Folge auch die Waffenkriminalität.  

Ein Grund für die schlechte Integration ist auch das „EBO-Gesetz“. Diese Regelung besagt, dass Einwanderer und Asylbewerber das Recht haben, dort zu leben, wo sie wollen. Das hört sich sehr gut an – Wahlfreiheit für diejenigen, die kommen. Aber das Ergebnis ist, dass sie mit Landsleuten zusammenleben wollen und sich unter schlechten Lebensbedingungen zusammendrängen. Dies ermöglicht auch die Ausbeutung von Menschen mit illegalen Mietverträgen und hohen Mieten. Schweden hat also eine schlechte Integration sowohl in die schwedische Gesellschaft als auch in die der Einwanderer untereinander.  

All diese Dinge sind in Schweden heikle Themen, über die man sprechen muss. Niemand möchte als Rassist gesehen werden.  

Eine fremde gewalttätige Kultur  

In diesen Parallelgesellschaften haben sich fremde Normen ausgebreitet. Die Kultur krimineller Banden ist durch mangelnden Respekt gegenüber Gesetzen und Vorschriften sowie durch Missachtung öffentlicher Angelegenheiten gekennzeichnet. Sie sind leicht beleidigt, konfliktsüchtig und haben ein Verlangen nach Rache. Es steht im Gegensatz zu den traditionellen Werten in Schweden, die sich durch Gesetzestreue, Toleranz, Konsens, Rationalität und Freundlichkeit auszeichnet. Auch die Normen der Kriminellen haben sich im Laufe der Zeit verändert.  

„Wenn eine Bande anfängt, Kalaschnikows zu benutzen, können andere keine Messer mehr verwenden,“ sagt der Kriminologe Manne Gerell.  

Was diese Art von Kriminalität auszeichnet, sind Brutalität und Rücksichtslosigkeit. Gewalt ist die wahre harte Währung, die in diesen Umgebungen Macht verleiht.  

Gangsta-Rap verherrlicht Kriminalität  

Im schwedischen Fernsehen sprach ein Sprecher der schwedischen Polizei über eine bestimmte Art von Hip-Hop-Musik namens „Gangsta Rap“. Diese Art von Musik verherrlicht das kriminelle Leben und manche unterstützen offen die kriminellen Banden. Menschen, vor allem noch minderjährige Jungen, interessieren sich für Straßenkriminalität und fühlen sich von ihr angezogen und fasziniert. Es zieht nicht nur Einwandererkinder in den Bann, sondern auch Kinder aus Mittelschichtsfamilien.  

Einer der Anführer, der früher von der Türkei aus operierte, machte sich als Geschäftsmann und Drogendealer einen Namen. Auch Rap-Künstler, die ihn unterstützten, halfen ihm, seinen Ruf aufzubauen. Dies hat eine starke Loyalität bei minderjährigen Jungen in Schweden bewirkt, welche sogar bereit sind, große Risiken einzugehen und in seinem Namen verrückte Gewalttaten zu begehen.  

Wenn z.B. ein Mord begangen werden soll, gibt es im ganzen Land junge Leute, die dabei helfen, Autos zu präparieren, Sprengstoff für Bombenanschläge zu besorgen oder andere Kinder zu rekrutieren.  

Gruppen ohne klare Anführer  

Eine weitere Erklärung für die extreme Gewalt ist, dass die kriminellen Banden in armen Gegenden aus losen Gruppen ohne klare Anführer bestehen.  

Um die Ordnung in der Organisation aufrechtzuerhalten, bedarf es starker Führungskräfte. Wenn die Anführer verschwinden, entsteht zunächst ein Vakuum und dann Chaos. So geschah es vor ein paar Jahren, als etwa vierhundert Anführer von Banden durch „Enchrochat“* verurteilt wurden. Viele jüngere Menschen sahen die Chance, verschiedene Bereiche des Drogenverkaufs selbst in die Hand zu nehmen. Das resultierende Chaos führte zu wilden Schießereien und Bombenanschläge nahmen dramatisch zu.  

Illegaler Waffenschmuggel nach Schweden  

Obwohl Schweden über einige der strengsten Waffenkontrollgesetze der Welt verfügt, wurden illegale Schusswaffen aus anderen Ländern eingeschmuggelt. Dies erleichterte den Zugang zu Waffen. Es handelt sich zum Teil um eine verzögerte Folge des langfristigen Waffenschmuggels in kleinem Umfang aus dem Balkan nach dem dortigen Krieg. Einige Waffen wurden nach dem Fall des kommunistischen Ostblocks auch aus Osteuropa gekauft.  

Die Polizei hat einen harten Job  

Im internationalen Vergleich gibt es in Schweden nur wenige Polizisten. Sie kämpfen auch gegen eine Kultur des Schweigens in Gebieten mit Einwanderern. Das Problem besteht darin, dass Opfer sich nicht trauen, Anzeige zu erstatten und Zeugen durch Einschüchterung zum Schweigen gebracht werden. Morde in einem Bandenumfeld sind oft sehr schwer aufzuklären und erfordern sehr große Ressourcen. Im Vergleich zu anderen Morden möchte niemand aussagen oder der Polizei berichten, was er weiß. Nach einem Mord folgt oft ein Rachemord, der später ebenfalls gerächt werden soll. Die Polizei verfügt nicht über die Ressourcen, um alle Morde aufzuklären.  

Ein weiteres Problem für die Polizei besteht darin, dass sich die Haupttäter nicht in Schweden befinden. Sie führen ihr Verbrechernetzwerk in der Sicherheit anderer Länder und können von der schwedischen Polizei nicht habhaft gemacht werden.  

Laxe Strafgesetze  

Die Waffengewalt und die Bombenanschläge sind zum Teil auch auf Schwedens eher milde Strafgesetze zurückzuführen. Bei Schießereien und Bombenanschlägen werden oft Kinder eingesetzt. Je jünger, desto besser, sagen die Banden. Jugendliche erhalten für Morde eine Höchststrafe von nur vier Jahren. Das bedeutet, dass sie ideale Rekruten für Banden sind und entsprechend aktiv gesucht werden. So werden bereits 13- bis 14-jährige zu Mördern.  

Wie kann Schweden seiner tödlichen Welle der Bandenkriminalität ein Ende setzen?  

Das ist eine gute Frage. Wie kann man den Drogenkonsum stoppen? Wie kann die Einfuhr schwerer Schusswaffen gestoppt werden? Wie gelingt die Integration von Einwanderern in Schweden?  

Viele kurzfristige Lösungen wurden diskutiert: mehr Bandenmitglieder hinter Gitter zu bringen, längere Haftstrafen, mehr Polizei. Es wurde sogar darüber gesprochen, Hilfe vom Militär in Anspruch zu nehmen, was in Schweden sehr ungewöhnlich ist.  

Aber die Situation mit den Banden zu lösen, wird Jahrzehnte dauern. Die Rekrutierung von Jungen für kriminelle Banden muss gestoppt werden. Kriminologen argumentieren, dass der beste Weg, dies zu erreichen, darin besteht, stark in Schulen in gefährdeten Gebieten zu investieren. Schulen sind für die Prävention von Jugendkriminalität von entscheidender Bedeutung. Junge Teenager, die in ihrer Ausbildung erfolgreich sind, engagieren sich nicht in kriminellen Banden.  

Vor allem brauchen wir eine ehrliche und offene Diskussion über Bandenkriminalität. Viele der Bandenmitglieder stammen aus Einwandererfamilien. Das ist ein sehr heikles Thema. Es war ein öffentliches Tabu, darüber zu diskutieren, wer hinter der Kriminalitätsepidemie steckt. Schweden besteht nicht mehr nur aus Schweden. Wir müssen Wege für die Integration verschiedener ethnischer Gruppen finden. Und dann müssen wir eine offene öffentliche Diskussion über schwierige Fragen führen, um neue Lösungen zu finden. Schweden muss viel nachdenken und dann handeln. 

* Enchrochat“, erfolgreiches Mithören der Verabredung zum Mord durch die Polizei. Anmerkung der Redaktion