Das Deutsche Reich spielte sowohl im 1. und auch im 2. Weltkrieg eine Rolle im Unabhängigkeitskampf Finnlands. Der Nordlandführer berichtete bereits 2020 über den 2. Weltkrieg und die Rolle beider Länder darin. Diesmal befragten wir den Geschichtsforscher der Universität Helsinki, Dr. Oula Silvennoinen, über die deutsch-finnische Kooperation während des 1. Weltkrieges.
Finnland war Teil des schwedischen Königreichs, bevor es Teil des Russischen Zarenreiches wurde. Warum wurde Finnland zu einer Kolonie Russlands? Wie kam es dazu und auf welche Weise herrschte der Zar über Finnland?
Finnland war nie eine Kolonie im modernen Sinne des Wortes, sondern seit dem Mittelalter einfach der angestammte östliche Teil des Königreichs Schweden. Die schwedischen Könige festigten ihre Herrschaft über Finnland in der Zeit vom 13. bis 15. Jahrhundert durch den Bau von Burgen. Finnland wurde manchmal als Großherzogtum bezeichnet – dennoch war es ein integraler Bestandteil des Reiches, wenn auch etwas ärmer und rückständiger. Nachdem die Russen Finnland zwischen 1808 und 1809 im Rahmen des Abkommens von Zar Alexander mit Napoleon erobert hatten, regierte der russische Zar das Land als Großherzog und setzte somit die schwedische Art der Herrschaft fort.
Finnland war während des Ersten Weltkriegs von der Teilnahme am Krieg ausgenommen. Im Allgemeinen hat sich die wirtschaftliche Lage Finnlands unter dem russischen Regime verbessert. Welche Motive trieben die Unabhängigkeitsbewegung voran?
Die wichtigste Motivation hinter der Unabhängigkeitsbewegung war das Aufkommen des finnischen Nationalismus im 19. Jahrhundert. Dennoch blieb das Land bis in die letzten Jahre des 19. Jahrhunderts ein bemerkenswert loyales Grenzland des Russischen Reiches, bis eine Politik der Russifizierung eingeführt wurde mit der Absicht, das Reich kulturell homogener zu gestalten. Dies führte zu heftigem Widerstand aller finnischen Volksgruppen und gab der Idee der Unabhängigkeit immer mehr Rückhalt. Dennoch war die Wirtschaft weiterhin stark an die Märkte in Russland gebunden. Der ausschlaggebende Faktor war der Zusammenbruch des Zarenreiches und die bolschewistische Revolution, welche die letzten Zweifler von der Notwendigkeit eines Bruchs mit Russland überzeugte.
Einige Finnen traten dem deutschen Militär, den finnischen Jägern, bei und bildeten das Rückgrat der Entstehung der finnischen Armee. Damit kämpften sie gegen Russland. Wie lässt sich das erklären?
Als die Unabhängigkeitsaktivisten bereits seit rund fünfzehn Jahren Widerstand gegen Russland geleistet hatten, entstand 1914 die Jäger-Bewegung. Für sie war die Idee, unter Anwendung von Gewalt unabhängig zu werden, nichts Neues mehr. Da die Mitstreiter der Jäger-Bewegung verstanden hatten, dass Russland sie als Verräter betrachtete, war dies für sie mit der wichtigeren Sache eines unabhängigen Finnlands gerechtfertigt. Außerdem hatte sich die Propaganda der Unabhängigkeitsbewegung angewöhnt, die Russen als Erzfeinde Finnlands, seiner Sprache, Kultur und Bevölkerung zu bezeichnen. Sie betrachteten den bewaffneten Kampf gegen Russland als einen Befreiungskampf.
Hat Lenin die Unabhängigkeit Finnlands akzeptiert?
Der von Lenin geführte Sowjet der Volkskommissare nahm im Dezember 1917 Finnlands Unabhängigkeitsantrag an. Dafür gab es gute Gründe: In der damaligen bolschewistischen Propaganda wurde viel Wert gelegt auf das Recht der Nationalitäten im Reich, über ihr eigenes Los zu entscheiden. Die Weltrevolution schien wie vorhergesagt zu verlaufen und Finnland würde ohnehin bald zur Einheit mit Russland zurückkehren, wenn das finnische Proletariat in der Revolution aufstehen würde. Letztendlich konnte Lenin zu diesem Zeitpunkt wenig tun, um die Unabhängigkeit Finnlands zu verhindern. Die Bolschewiken hatten gerade die Macht übernommen und befanden sich noch in einer instabilen Lage, umgeben von Feinden. Sie brauchten keinen zusätzlichen Feind mehr.
Wie kann die extreme Radikalisierung, die in einem Blutbad endete, in einer so kleinen Nation nach dem Ende des Ersten Weltkriegs verstanden werden?
Der radikalisierte Flügel der finnischen sozialistischen Bewegung übernahm Ende 1917/Anfang 1918 die Macht in der Partei und startete einen Revolutionsversuch, unterstützt von den bewaffneten Rotgardisten, die sie seit Monaten aufgebaut hatten. Sie wurden auch von der bolschewistischen Regierung ermutigt und materiell unterstützt, obwohl Lenin nicht wirklich die Kraft hatte, entscheidend in Finnland einzugreifen. Parallel dazu hatten auch die Nicht-Sozialisten in Finnland ihre Bewaffnung ausgebaut und der Bürgerkrieg von 1918 wurde zu einem Zusammenstoß der roten und weißen Paramilitärs, wobei die Weißen bald die Oberhand gewannen. Bürgerkriege sind immer blutig, weil die andere Seite nicht nur als Feind, sondern auch als Verräter angesehen wird. Der weiße Terror der Kriegs- und Nachkriegszeit und die grausame Behandlung der Verlierer wurden damals mit der Notwendigkeit begründet, einen erneuten Aufstand durch harte Maßnahmen zu verhindern.
War das Eingreifen deutscher Truppen entscheidend im finnischen Bürgerkrieg?
Das Deutsche Reich schickte im April 1918 eine Infanteriedivision unter der Führung von Rüdiger von der Goltz nach Finnland. Damit war das Schicksal der Roten Regierung besiegelt, obwohl ihre militärische Niederlage ohnehin unvermeidlich gewesen wäre. Der finnische Oberbefehlshaber Mannerheim drang vor dem Eintreffen der Deutschen verzweifelt auf eine Entscheidungsschlacht, damit es nicht aussah, als hätten die Finnen ohne diese nicht gewinnen können. Dies gelang ihm tatsächlich kurz vor der Ankunft der Infanteriedivision des von der Goltz Anfang April. Tampere, die wichtigste Stadt unter der Kontrolle der Roten, fiel in die Hände der Weißen.
Wie sahen die Finnen den Wandel vom russischen Zaren zum deutschen Prinz Friedrich Karl von Hessen als Regenten?
Das finnische Volk hatte wenig Zeit, sich an seinen König Friedrich Karl zu gewöhnen, der im Sommer 1918 vom Parlament gewählt wurde. Friedrich Karl hatte Finnland noch nicht besucht, als er mit dem Fall des Deutschen Kaiserreiches im Herbst abdanken musste. Es war also keine Zeit, die Bevölkerung dazu zu befragen, aber viele Finnen waren damals wahrscheinlich der Meinung, dass das Land einen Monarchen brauchte. Schon immer hatte es einen König oder einen Großherzog gegeben, der Finnland nominell regierte.
Sind heute die Wunden verheilt? Gibt es deswegen noch eine Spaltung im Land?
Finnland konnte 1939 bemerkenswert vereint in den nächsten Krieg gegen die Sowjetunion eintreten, obwohl die Finnen etwa zwanzig Jahre zuvor in einem Bürgerkrieg gegeneinander gekämpft hatten. Ein Großteil des Verdienstes gebührt der finnischen Republik der Zwischenkriegszeit und ihrer Politik, gerechtere Vereinbarungen für die Arbeiter und die arme Landbevölkerung zu garantieren, sowie mit den Bemühungen, die Grundlagen für ein modernes Sozialsystem und Schulen für die Allgemeinheit aufzubauen. Die Erfahrung des Zweiten Weltkriegs, eines gemeinsam geführten Krieges, festigte dann das Gefühl einer Versöhnung zwischen den Rechten und den Linken. Obwohl der Bürgerkrieg immer noch oft erwähnt wird, insbesondere in der spaltenden politischen Rhetorik der extremen Rechten, kann man sagen, die vorherrschenden Bestrebungen in der finnischen Nachkriegsgesellschaft war eine Historie der Versöhnung.
Heute, nach der Erfahrung der Kolonial-herrschaft, einem blutigen Bürgerkrieg, und dem 2. Weltkrieg, wie hat dies die finnische Seele und die Sicht der Finnen auf Europa und die Welt verändert?
Finnen sind von Natur aus gerne unabhängig. Dies hat zwar seine positiven Seiten, führt aber auch dazu, dass einige ihr Land als vom Rest der Welt getrennt betrachten, vielleicht als sicheren Hafen, aber auch als Land, das versuchen sollte, sich von der globalen Politik und den Sorgen anderer fernzuhalten. Wir können diese Tendenz als finnischen Isolationismus bezeichnen, das ist besonders im ländlichen, konservativeren Teil der Bevölkerung ausgeprägt. Finnland ist während seiner Unabhängigkeit außerhalb der westlichen Sicherheitsarchitektur geblieben: in der Zwischenkriegszeit, weil es wirklich keine glaubwürdigen Verbündeten gegen die wachsende Bedrohung durch die Sowjetunion finden konnte, und in der Nachkriegszeit, weil die Sowjetunion Finnland nicht erlaubt hätte, der NATO beizutreten. Dies hat dazu geführt, dass viele Menschen im modernen Finnland denken, eine unabhängige Verteidigung und eine Neutralitätspolitik waren eigentlich immer im besten Interesse des Landes.
(Derzeit befürworten 26 Prozent der Finnen eine NATO-Mitgliedschaft und 40 Prozent sind gegen einen Beitritt zum Militärbündnis. Anm. der Redaktion)
Die Neutralität Finnlands war von je her eine Folge seiner geografischen Randlage und dem Mangel an Sicherheitspartnern.
Vielen Dank für das interessante gespräch!