Von übernatürlicher Liebe überrascht und die Folgen für eine moderne Frau

Es war nicht die Geschichte einer übernatürlichen Begegnung mit dem Göttlichen, das unsere Redaktion bewog, ein Interview mit Charlotte Rörth zu führen, sondern die Tatsache, dass ganz Dänemark von ihr spricht. Charlotte ist Journalistin und war Agnostikerin. Sie entsprach so völlig dem Klischee einer modernen skandinavischen Frau, dass man nicht umhinkommt, ihrem denkwürdigen Erlebnis Ende 2008 Beachtung zu schenken.

Was ist für Sie die typische Lebenswelt einer Dänin in Bezug auf die inneren Qualitäten wie Glück, Liebe und inneren Frieden? Wie war Ihr Leben vor Ihrem besonderen Erlebnis mit Jesus?


Die typische dänische Denkweise ist sehr rational ausgerichtet. In den verschiedenen Ranglisten erscheinen wir immer wieder an der Spitze der Länder mit den glücklichsten Bürgern. Der Hauptgrund dafür ist, dass wir Vertrauen in unsere Gesellschaft haben. Wir vertrauen unseren Politikern, der Bürokratie und dem Gesundheitssystem. Das sind die Ergebnisse, zu denen Soziologen kommen. Vertrauen ist hier der wesentliche Faktor. Nicht so sehr Glück oder glücklich sein, sondern Glück im Sinne von sich sicher zu fühlen, dass man sich um einen kümmert. Es ist die Wohlfahrtsgesellschaft, welche uns zu den glücklichsten Menschen der Welt macht.
Glück im eigentlichen Sinne ist es nicht und das sehen wir, wenn wir unser Augenmerk auf den mentalen Zustand setzen. Die Selbstmordrate gehört hier zu den höchsten der Welt. Es gibt eine wachsende Zahl von Menschen mit psychischen Krankheiten und das hat nichts mit Sicherheit zu tun, sondern damit, dass jemand keinen Sinn im Leben erkennt. Den Traum vom Wohlfahrtsstaat haben wir erfüllt, aber das ist ein praktischer Traum, der uns nicht den Sinn des Lebens erklärt. Hier haben wir ein Defizit. Wir haben das Gefühl, dass wir das nicht brauchen und auch nicht wollen (Sinn). Es ist ein Dilemma, je mehr die Gesellschaft sich um alle kümmert, umso weniger Verantwortung übernimmt der Einzelne und fühlt sich als Teil des Ganzen. Und das ist so, weil wir den Glauben außen vorlassen und alles nur rational wahrnehmen.
Auf der anderen Seite suchen die Menschen nach dem Sinn des Lebens und es gibt heute zunehmend mehr Spiritualität als noch vor zehn Jahren. Da die Kirche eine große Rolle in der Gesellschaft spielt, wurde sie ebenfalls sehr nüchtern und grenzte den spirituellen Teil aus. Aber genau danach suchen die Menschen heute. Viele meinen, es gäbe diese nicht innerhalb der Kirche, aber es gibt sie doch.
Ich war eine durchschnittliche Person, irgendwie sehr normal: Gute Ausbildung, eine großartige Arbeit, drei sehr fordernde Kinder. Ich kümmerte mich gewöhnlich um andere und hatte gar keine Zeit, meinen inneren Frieden zu suchen und zu finden. Es hieß zunächst, ich könne keine Kinder bekommen und als ich dann schwanger wurde, war ich so glücklich. Ich würde nie behaupten, dass ich mein Leben meisterte. Ich war eine normale Person aber auch ausgefüllt mit viel Arbeit und ohne einen Moment des Innehaltens oder der inneren Ruhe. Es gab niemanden, der mich umsorgte, während ich mich stets um andere bemühte.

Eine Werbekampagne der dänischen atheistischen Gesellschaft im Jahr 2016 führte zu einer großen Anzahl von Austritten aus der (Staats-)Kirche. Wie denken Sie darüber?

Das war eine maßlos übertriebene Behauptung! Sie hängen an Gott wie kaum eine andere Gruppe, denn ohne Ihn hätten sie nichts wogegen sie sich wenden könnten. Sie hängen an einer überholten Vorstellung über Gott: Einem weisen alten Mann mit Bart, der in den Wolken sitzt und über uns regiert. Das ist aber nicht die Vorstellung, welche die meisten Gläubigen teilen. Die meisten glauben an eine undefinierte, allem zugrundeliegende Macht. In mancher Hinsicht ist das gut, für mich ist es jedoch zu schwammig.

In Ihrem Buch schreiben Sie, der Protestantismus habe das religiöse Leben den Menschen ausgetrieben. Was meinen Sie damit?


Die Reformation war mehr eine Initiative der weltlichen Autorität, nicht so sehr eine religiöse. Davor waren die Kirche und der Staat mit dem König eine Einheit. Mit der Reformation kam es zu einer Aufteilung, in deren Verlauf der Mystizismus verlorenging. Auch wenn Luther ein Geistlicher war, die Reformation war nicht geistlich ausgerichtet. So wie ich es sehe, beinhaltet die Reformation nur teilweise Luthers Ideen. Das religiöse Leben wurde quasi verstaatlicht und ging verloren. Schulen wurden errichtet, Bibelstudien eingerichtet, aber die Menschen wurden mit Fragen nach dem Sinn des Lebens allein gelassen. Wir kämpfen heute immer noch damit. Dänemark erlebte auch eine Zeit des Pietismus, aber dieser wurde immer beiseitegeschoben und erntete Spott, ebenso wie die charismatischen Bewegungen. Eine der brutalsten Methoden, Menschen auszuschließen ist, sich über sie lustig zu machen. Das ist ein Werkzeug, welches die protestantische Kirche nutzte, um solche Menschen loszuwerden. Beide Bewegungen können eine Menge unkontrollierbarer Emotionen auslösen unter Gläubigen, während der Protestantismus Kontrolle ausübt. Ich hatte eine Menge Probleme damit.
Im Kern unterscheiden sich der Katholizismus und der Protestantismus nicht, aber im nächsten Schritt, dem religiösen Leben, unterscheiden sie sich doch sehr. Ich war überrascht, dass die protestantische Kirche in Dänemark mich aufnahm. Es war fast so als ob sie jemanden wie mich herbeigesehnt haben. Ich konnte Protestant sein und Begegnungen mit Gott und geistige Erlebnisse haben. Derzeit schreibe ich ein Buch darüber, wie es ist, eine christliche Frau in einer modernen Gesellschaft zu sein. Ich kann das schreiben, da ich keine ausgebildete Theologin bin. Für mich bedeutet Glaube nicht Religion, sondern zu erfahren, dass Gott mich liebt. Dies steht einer Ausbildung an einer theologischen Hochschule nicht nach. Im Protestantismus sagen wir, dass wir alle gleich sind und ein jeder ein Priester ist, aber das, was sie tun (Kirche) ist das Gegenteil. Sie sind nicht bereit anzuerkennen, dass mein Glaube genauso stark ist, wie wenn jemand eine Ausbildung genossen hat. Jemand mit theologischer Ausbildung hat das Recht mich zu korrigieren, selbst wenn der protestantische Glaube dies verneint. Ich finde, niemand hat das Recht sich in die Beziehung mit Gott einzumischen!


Viele glauben Ihnen, dass Sie Jesus tatsächlich begegnet sind, gerade deswegen, weil Ihr Leben vorher so „normal“ gewesen ist. Wie wirkt sich das in Dänemark aus?


Nun, es hatte viel mehr Aufmerksamkeit erzeugt als die Werbekampagne der Atheisten. Alle großen Medien in Dänemark führten ein Interview mit mir und bezeichnen mich als ein Phänomen. Der Leiter der dänischen Bibelgesellschaft meint sogar, dass ich bedeutender sei als alles, was in den vergangenen Jahren in der Kirche geschehen sei. Es war wie ein Schneeballeffekt, es war nicht ich als Person, sondern es traf einen Nerv bei vielen Leuten. Ich bin ‚normal‘ und tue das was die meisten ebenfalls tun. Ich erhielt tausende Briefe von Menschen, die ähnliche Erfahrungen gemacht hatten wie ich. Das ist nicht verwunderlich: in umfangreichen Umfragen ist dokumentiert, dass fünfzig bis fünfundsiebzig Prozent von uns geistige Erfahrungen machen, wir reden nur nicht darüber. Die BBC im Zusammenwirken mit der Universität von Wales dokumentierte, dass sechsundsiebzig Prozent der Befragten Erfahrungen gemacht haben, die über die rationale Wirklichkeit hinausgehen. Das Forum des amerikanischen Pew Forschungszentrums für Religion und öffentliches Leben fand 2009 heraus, dass fast jeder zweite Amerikaner übernatürliche Erfahrungen gemacht hat. Nicht alle von Ihnen werden zu Christen oder tun, was ich tue, sondern leben ihr Leben weiter. Ich denke, mein Erlebnis und dessen Veröffentlichung hatte einen großen Einfluss.

Etwas, das einen großen Unterschied macht oder herausragend scheint, ist Ihr sehr offenes Bekenntnis der Gefühle, die Sie nach der Begegnung mit Jesus erlebt haben. Sie erwähnen, dass Sie liebeskrank wurden. Wie geht es Ihnen heute, haben Sie sich erholt?

Mir ist schon klar, dass meine ehrliche Art außergewöhnlich ist. Ich habe nicht darüber nachgedacht als ich das Buch schrieb. Ich bin Journalistin, ich kann mir nicht Dinge ausdenken, sondern kann nur schreiben was passiert ist und das habe ich getan. Was mit meinem Körper und meinen Emotionen geschah, war schwierig zu verarbeiten, aber mir war bewusst, dass ich nicht etwas schreiben könnte, ohne dass es mir widerfahren ist. Ich konnte nicht unehrlich sein. Mir haben so viele Menschen geschrieben, dass sie es nicht wagten, auszudrücken was sie erlebt haben. Ich wollte ehrlich sein, denn dies gebietet die journalistische Ethik. Ich wollte etwas schreiben, das überprüfbar sein sollte, mit Ausnahme der Treffen mit Jesus natürlich. Dies ist sehr wichtig, um eine ernsthafte Unterhaltung zu führen. Ich hatte eine Menge Gefühle aber auch negative Reaktionen. Die Liebeskrankheit ist eine physische und eine emotionale Reaktion. Es ist schwer zu erklären, es fühlt sich an wie geliebt zu werden, gleichzeitig ist es tausendmal stärker. Dies war in keiner Weise vergleichbar mit einer gewöhnlichen Liebesgeschichte. Es war für mich der einzige Weg, diese unglaublich starken Gefühle sprachlich wiederzugeben. Wenn jemand sehr glücklich aussieht, dann meint das Umfeld ‚oh, du siehst so verliebt aus‘. Es ist der stärkste Ausdruck der Liebe, den wir kennen.

Ich habe das in meinem Buch versucht zu beschreiben, also wie meine Sehnsucht beschaffen war. Es war mehr als ein Gefühl, geliebt zu werden. Das ist eine wichtige Ergänzung. Auch haben wir keine Worte, um diese Gefühle zu erklären. Ich versuchte dies, indem ich beschrieb, was mit meinem Körper passierte. Und das war wirklich schwierig. Ich liebe meinen Ehemann und werde ihn immer lieben. Aber in was war ich hier verliebt? Warum verlor ich deswegen so viel an Gewicht? Ich fühlte mich angespannt, gleichzeitig so lebendig und beschwingt. Nach dem zweiten Treffen mit Jesus beruhigte ich mich. Ich fühlte mich mehr und mehr normal und ausgeglichen und nahm nicht weiter ab. Kurz bevor mein erstes Buch herauskam, starb mein Sohn, worauf mein Körper ja dann auch reagiert hat.

Ich schreibe über den Kundalini Prozess oder das Kundalini Erwachen, das einem festgelegten Muster folgt und wo ich mein Erlebnis beschrieben sehe. Zu der Zeit brauchte ich Hilfe. Ich hatte nie von starken, physischen Reaktionen auf spirituelle Begegnungen gehört, aber ich forschte viel über meine körperlichen Reaktionen und fand schließlich eine Menge darüber in der Kundalini-Erweckung. Ich durchsuchte christliche Schriften, um etwas über körperliche Erfahrungen zu finden, weil es mir passierte nachdem ich Jesus begegnet bin und das Licht von Gott empfangen hatte, aber ich konnte nichts finden. Ich verlor zwanzig Kilo, ich zitterte, meine Haut war empfindlich, ich sah Auren und Licht strahlte aus meinen Fingern. Als ich endlich auf Theresa von Avila stieß, war ich so erleichtert. Es gibt praktisch keine protestantischen Schriften außer meiner, aber ich glaube nicht, dass Protestanten die einzigen Menschen sein können, die keine körperlichen Erfahrungen gemacht haben. Sie kommen in allen Religionen vor und werden oft in der Bibel erwähnt.

Dieses Erleben kann auch ohne bewusste Konzentration erfolgen, fast so wie eine Explosion im Körper. Als ich darüber las, erkannte ich all die Symptome und Reaktionen wieder, die ich erlebt hatte. Meiner Meinung nach beginnen Religionen mit einer geistigen Erfahrung ihrer jeweiligen Gründer. Als mir das passierte, war mir nicht klar was am nächsten Tag geschehen würde. Ich wusste nicht, ob und wann das Erlebnis sich wiederholen würde und ich ohnmächtig werden würde, deswegen fuhr ich kein Auto mehr. Andere Menschen machten auch diese Erfahrung und lebten weiter wie bisher. Die Leute sind manchmal hart zu mir, da sie sich nicht in meine Situation hineinversetzen können. Stellen Sie sich vor, Sie sind in einem sehr angespannten emotionalen Zustand und erkennen, dass es jemanden gibt, der das gleiche Erlebnis hatte. ‚Kundalini‘ beschreibt meine Erfahrung, davon gehe ich aus. Ein Licht, das von oben kam und in meine Stirn eindrang und sich entlang meiner Wirbelsäule fortsetzte, bis es mein Steißbein erreichte und mich verließ als ich ohnmächtig wurde. Diese Energie kam aus dem Himmel, von Gott, das ist der umgekehrte Weg des Kundalini Phänomens (von innen nach außen). So wie ich es verstehe, sah Gott etwas in mir und rief es in mir wach. Verstehen Sie? Wir sind nach dem Ebenbild Gottes geschaffen (Genesis), deswegen kann Gott dies mit uns tun, uns erwecken. Das alles geschah im Dezember 2009, während einer Zeit, als ich auf dem Land lebte.

Welche Bedeutung haben die an Sie gerichteten Worte von Jesus: „Ich verlasse mich auf dich!“?


Er beantwortete meine Frage, was ich denn nun tun solle nicht, sondern appellierte an meine eigene Verantwortung. Das ist so evangelisch, wir haben Kopf, Arme, Beine und er möchte, dass wir handeln, aber es ist unsere Verantwortung. Er bringt uns zum Nachdenken. Er wird uns nicht befehlen, keinen Stein zu werfen (Johannes 8:7).
In meinem Fall musste ich zunächst darüber nachsinnen, wer ich bin und was ich tun kann. Das Einzige was ich kann, ist Journalismus. Darum habe ich ein Buch geschrieben. Zunächst gab es aber niemanden, der es drucken wollte. Alle großen Verlagshäuser lehnten ab. Am Ende war es ein kleiner (politisch) linker Verlag aus meiner elitären geistigen Umgebung, in der ich aufgewachsen bin, der es veröffentlichte und es wurde ein Bestseller. Danach standen die großen Verlagshäuser Schlange mit der Hoffnung, mein nächstes Buch zu drucken.
Theologisch ist diese Frage sehr wichtig. Es reicht nicht, die Bibel von vorne bis hinten zu kennen, sondern zu verstehen, wer man selbst ist. Es braucht Ernsthaftigkeit und Mut, anzuerkennen dass Jesus existiert, sich nicht dafür zu schämen oder es zu verheimlichen. Es gibt immer noch so viele Menschen, die es peinlich finden, über den Glauben zu reden. Es ist wahrscheinlich in Deutschland ähnlich, aber diese Einstellung ist in den nordischen Ländern sehr weit verbreitet. Es scheint so, als ob es Menschen leichter fällt, sich zum Buddhismus oder den nordischen Gottheiten zu bekennen. Wenn man eine Religion wählt, die sehr anders ist als die eigene Kultur, dann ist es so, als würde man eine fremde neue Welt betreten. Man kann dann seine Religion zu etwas machen, das nichts mit dem Alltag zu tun hat. Etwa so wie Kirchgänger, die nur im Gottesdienst religiös sind, aber nicht im Alltag. Man mag den Buddhismus wählen, weil man sich ein ruhiges Leben wünscht. Als Christ bekommt man dies nicht geboten. Man erhält kein leichteres Leben dadurch, dass man Christ wird. Es ist schwieriger als keinen Glauben zu haben.


Wenn Sie ihr Leben vor und nach Ihrer Erfahrung miteinander vergleichen, wie ist das für Sie?

Ich kann das nicht tun, weil mein Sohn starb als das erste Buch veröffentlicht wurde. Wenn Sie fragen, wie mein Leben ab der Erscheinung bis zur Veröffentlichung des Buches war, dann würde ich sagen, mein Leben spielte sich zwischen großem Glücksgefühl und Spannungen ab. Ich kann nicht sagen, dass mein Leben früher in einer Skala bei fünf war und jetzt bei zehn, denn so ist es nicht. Nachdem mein Sohn starb, war mein Gefühlsleben starken Schwankungen unterworfen. Auf der einen Seite das Erlebnis mit Jesus, auf der andern die Trauer um meinen Sohn. Vorher führte ich ein anonymes und jetzt ein sehr öffentliches Leben. Es gab so viele Veränderungen und ich glaube, es ist nicht entscheidend, welches Leben besser war, da es irrelevant ist ob ich glücklich bin oder nicht, denn ich kann meinen Sohn nicht zurückbekommen. Natürlich kann ich niemals vollkommen glücklich sein, ich werde immer weinen. Heute weiß ich allerdings mehr über das Leben.

Was sagen Sie zu Menschen, die auch ihr Kind verloren haben und Gott dafür anklagen, dass Er es zugelassen hat?

Wenn Leute so reagieren, verstehe ich nicht wirklich, dass sie an Gott glauben. Warum sollte Gott so etwas tun? Er hat uns alle erschaffen und kümmert sich um uns. Wir töten uns selbst oder töten andere. Ich denke, es ist eine unchristliche Art, Gott dafür verantwortlich zu machen. Gott ist immer da, aber in diesem Bewusstsein zu leben, ist eine Wahl, die wir zu treffen haben. Man muss auch lernen, mit offenen Fragen zu leben. In dem Moment, in dem man meint, die Antworten zu kennen, wird man zu Gott, aber wir sind nicht Gott, wir sind seine Kinder. Leute sagten zu mir ich hätte so großes Glück, dass mein Sohn gestorben ist, erst nachdem ich Jesus getroffen habe. Ich erwiderte ihnen dann ‚Weißt du was du da sagst? Das würde bedeuten, er starb meinetwegen‘. Menschen sind verzweifelt und versuchen, eine sinnvolle Erklärung zu finden.

Welchen Rat würden Sie einem ‚durchschnittlichen‘ Menschen geben, der solche Erfahrungen nie gemacht hat, aber dessen Interesse durch das Lesen Ihres Buches geweckt wird?

Ich würde ihm raten, innerhalb der Familie und mit Freunden darüber zu sprechen. Es gibt Leute, die mir sagen, dass sie in ihrer Familie nicht über den Glauben reden können. Ich meine, wenn das nicht möglich sein soll, dann frage ich mich in was für einer Art Beziehung man da lebt und ob man diese dann nicht auch überdenken sollte.
Es ist auch sehr wichtig, mit einem Priester zu sprechen, auch wenn man kein Christ ist. Es ist notwendig, diese Erfahrungen nicht als das eigene private Glück zu begreifen, sondern als etwas, das Teil der Menschheit ist und schon immer war. Priester wissen das und können ihre Erfahrungen in einen Kontext stellen und darauf aufmerksam machen, nicht nur in Erinnerungen zu schwelgen, sondern Gutes daraus zu gewinnen und es zu vermehren.

Vielen Dank für das interessante Gespräch!


Finnland und Deutschland, mehr als nur Partner in der EU

Das Deutsche Reich spielte sowohl im 1. und auch im 2. Weltkrieg eine Rolle im Unabhängigkeitskampf Finnlands. Der Nordlandführer berichtete bereits 2020 über den 2. Weltkrieg und die Rolle beider Länder darin. Diesmal befragten wir den Geschichtsforscher der Universität Helsinki, Dr. Oula Silvennoinen, über die deutsch-finnische Kooperation während des 1. Weltkrieges.

Finnland war Teil des schwedischen Königreichs, bevor es Teil des Russischen Zarenreiches wurde. Warum wurde Finnland zu einer Kolonie Russlands? Wie kam es dazu und auf welche Weise herrschte der Zar über Finnland?

Finnland war nie eine Kolonie im modernen Sinne des Wortes, sondern seit dem Mittelalter einfach der angestammte östliche Teil des Königreichs Schweden. Die schwedischen Könige festigten ihre Herrschaft über Finnland in der Zeit vom 13. bis 15. Jahrhundert durch den Bau von Burgen. Finnland wurde manchmal als Großherzogtum bezeichnet – dennoch war es ein integraler Bestandteil des Reiches, wenn auch etwas ärmer und rückständiger. Nachdem die Russen Finnland zwischen 1808 und 1809 im Rahmen des Abkommens von Zar Alexander mit Napoleon erobert hatten, regierte der russische Zar das Land als Großherzog und setzte somit die schwedische Art der Herrschaft fort.
Finnland war während des Ersten Weltkriegs von der Teilnahme am Krieg ausgenommen. Im Allgemeinen hat sich die wirtschaftliche Lage Finnlands unter dem russischen Regime verbessert. Welche Motive trieben die Unabhängigkeitsbewegung voran?

Die wichtigste Motivation hinter der Unabhängigkeitsbewegung war das Aufkommen des finnischen Nationalismus im 19. Jahrhundert. Dennoch blieb das Land bis in die letzten Jahre des 19. Jahrhunderts ein bemerkenswert loyales Grenzland des Russischen Reiches, bis eine Politik der Russifizierung eingeführt wurde mit der Absicht, das Reich kulturell homogener zu gestalten. Dies führte zu heftigem Widerstand aller finnischen Volksgruppen und gab der Idee der Unabhängigkeit immer mehr Rückhalt. Dennoch war die Wirtschaft weiterhin stark an die Märkte in Russland gebunden. Der ausschlaggebende Faktor war der Zusammenbruch des Zarenreiches und die bolschewistische Revolution, welche die letzten Zweifler von der Notwendigkeit eines Bruchs mit Russland überzeugte.

Einige Finnen traten dem deutschen Militär, den finnischen Jägern, bei und bildeten das Rückgrat der Entstehung der finnischen Armee. Damit kämpften sie gegen Russland. Wie lässt sich das erklären?

Als die Unabhängigkeitsaktivisten bereits seit rund fünfzehn Jahren Widerstand gegen Russland geleistet hatten, entstand 1914 die Jäger-Bewegung. Für sie war die Idee, unter Anwendung von Gewalt unabhängig zu werden, nichts Neues mehr. Da die Mitstreiter der Jäger-Bewegung verstanden hatten, dass Russland sie als Verräter betrachtete, war dies für sie mit der wichtigeren Sache eines unabhängigen Finnlands gerechtfertigt. Außerdem hatte sich die Propaganda der Unabhängigkeitsbewegung angewöhnt, die Russen als Erzfeinde Finnlands, seiner Sprache, Kultur und Bevölkerung zu bezeichnen. Sie betrachteten den bewaffneten Kampf gegen Russland als einen Befreiungskampf.

Hat Lenin die Unabhängigkeit Finnlands akzeptiert?

Der von Lenin geführte Sowjet der Volkskommissare nahm im Dezember 1917 Finnlands Unabhängigkeitsantrag an. Dafür gab es gute Gründe: In der damaligen bolschewistischen Propaganda wurde viel Wert gelegt auf das Recht der Nationalitäten im Reich, über ihr eigenes Los zu entscheiden. Die Weltrevolution schien wie vorhergesagt zu verlaufen und Finnland würde ohnehin bald zur Einheit mit Russland zurückkehren, wenn das finnische Proletariat in der Revolution aufstehen würde. Letztendlich konnte Lenin zu diesem Zeitpunkt wenig tun, um die Unabhängigkeit Finnlands zu verhindern. Die Bolschewiken hatten gerade die Macht übernommen und befanden sich noch in einer instabilen Lage, umgeben von Feinden. Sie brauchten keinen zusätzlichen Feind mehr.

Wie kann die extreme Radikalisierung, die in einem Blutbad endete, in einer so kleinen Nation nach dem Ende des Ersten Weltkriegs verstanden werden?

Der radikalisierte Flügel der finnischen sozialistischen Bewegung übernahm Ende 1917/Anfang 1918 die Macht in der Partei und startete einen Revolutionsversuch, unterstützt von den bewaffneten Rotgardisten, die sie seit Monaten aufgebaut hatten. Sie wurden auch von der bolschewistischen Regierung ermutigt und materiell unterstützt, obwohl Lenin nicht wirklich die Kraft hatte, entscheidend in Finnland einzugreifen. Parallel dazu hatten auch die Nicht-Sozialisten in Finnland ihre Bewaffnung ausgebaut und der Bürgerkrieg von 1918 wurde zu einem Zusammenstoß der roten und weißen Paramilitärs, wobei die Weißen bald die Oberhand gewannen. Bürgerkriege sind immer blutig, weil die andere Seite nicht nur als Feind, sondern auch als Verräter angesehen wird. Der weiße Terror der Kriegs- und Nachkriegszeit und die grausame Behandlung der Verlierer wurden damals mit der Notwendigkeit begründet, einen erneuten Aufstand durch harte Maßnahmen zu verhindern.

War das Eingreifen deutscher Truppen entscheidend im finnischen Bürgerkrieg?

Das Deutsche Reich schickte im April 1918 eine Infanteriedivision unter der Führung von Rüdiger von der Goltz nach Finnland. Damit war das Schicksal der Roten Regierung besiegelt, obwohl ihre militärische Niederlage ohnehin unvermeidlich gewesen wäre. Der finnische Oberbefehlshaber Mannerheim drang vor dem Eintreffen der Deutschen verzweifelt auf eine Entscheidungsschlacht, damit es nicht aussah, als hätten die Finnen ohne diese nicht gewinnen können. Dies gelang ihm tatsächlich kurz vor der Ankunft der Infanteriedivision des von der Goltz Anfang April. Tampere, die wichtigste Stadt unter der Kontrolle der Roten, fiel in die Hände der Weißen.
Wie sahen die Finnen den Wandel vom russischen Zaren zum deutschen Prinz Friedrich Karl von Hessen als Regenten?

Das finnische Volk hatte wenig Zeit, sich an seinen König Friedrich Karl zu gewöhnen, der im Sommer 1918 vom Parlament gewählt wurde. Friedrich Karl hatte Finnland noch nicht besucht, als er mit dem Fall des Deutschen Kaiserreiches im Herbst abdanken musste. Es war also keine Zeit, die Bevölkerung dazu zu befragen, aber viele Finnen waren damals wahrscheinlich der Meinung, dass das Land einen Monarchen brauchte. Schon immer hatte es einen König oder einen Großherzog gegeben, der Finnland nominell regierte.

Sind heute die Wunden verheilt? Gibt es deswegen noch eine Spaltung im Land?

Finnland konnte 1939 bemerkenswert vereint in den nächsten Krieg gegen die Sowjetunion eintreten, obwohl die Finnen etwa zwanzig Jahre zuvor in einem Bürgerkrieg gegeneinander gekämpft hatten. Ein Großteil des Verdienstes gebührt der finnischen Republik der Zwischenkriegszeit und ihrer Politik, gerechtere Vereinbarungen für die Arbeiter und die arme Landbevölkerung zu garantieren, sowie mit den Bemühungen, die Grundlagen für ein modernes Sozialsystem und Schulen für die Allgemeinheit aufzubauen. Die Erfahrung des Zweiten Weltkriegs, eines gemeinsam geführten Krieges, festigte dann das Gefühl einer Versöhnung zwischen den Rechten und den Linken. Obwohl der Bürgerkrieg immer noch oft erwähnt wird, insbesondere in der spaltenden politischen Rhetorik der extremen Rechten, kann man sagen, die vorherrschenden Bestrebungen in der finnischen Nachkriegsgesellschaft war eine Historie der Versöhnung.

Heute, nach der Erfahrung der Kolonial-herrschaft, einem blutigen Bürgerkrieg, und dem 2. Weltkrieg, wie hat dies die finnische Seele und die Sicht der Finnen auf Europa und die Welt verändert?

Finnen sind von Natur aus gerne unabhängig. Dies hat zwar seine positiven Seiten, führt aber auch dazu, dass einige ihr Land als vom Rest der Welt getrennt betrachten, vielleicht als sicheren Hafen, aber auch als Land, das versuchen sollte, sich von der globalen Politik und den Sorgen anderer fernzuhalten. Wir können diese Tendenz als finnischen Isolationismus bezeichnen, das ist besonders im ländlichen, konservativeren Teil der Bevölkerung ausgeprägt. Finnland ist während seiner Unabhängigkeit außerhalb der westlichen Sicherheitsarchitektur geblieben: in der Zwischenkriegszeit, weil es wirklich keine glaubwürdigen Verbündeten gegen die wachsende Bedrohung durch die Sowjetunion finden konnte, und in der Nachkriegszeit, weil die Sowjetunion Finnland nicht erlaubt hätte, der NATO beizutreten. Dies hat dazu geführt, dass viele Menschen im modernen Finnland denken, eine unabhängige Verteidigung und eine Neutralitätspolitik waren eigentlich immer im besten Interesse des Landes.

(Derzeit befürworten 26 Prozent der Finnen eine NATO-Mitgliedschaft und 40 Prozent sind gegen einen Beitritt zum Militärbündnis. Anm. der Redaktion)

Die Neutralität Finnlands war von je her eine Folge seiner geografischen Randlage und dem Mangel an Sicherheitspartnern.

Vielen Dank für das interessante gespräch!

„Falschpropaganda und Spekulationen”

Dr. Oula Silvennoinen ist Forscher an der Universität Helsinki und Experte im Bereich der Beziehungen Deutschlands mit Finnland während der Diktatur des Nationalsozialismus. Der Nordlandführer befragte ihn zu Aspekten einer komplizierten Beziehung.

Kann man sagen, dass Finnland ohne Hitler Deutschland ein Teil der Sowjetunion geworden wäre?

Nein, dem würde ich nicht zustimmen. Deutschland unterstützte Finnland in einigen Bereichen, aber es würde zu weit gehen, dass dies entscheidend für die finnische Unabhängigkeit war. Das finnische Problem, wie auch das aller an die Sowjetunion angrenzenden Staaten war, dass es weder von der Weimarer Republik noch von Hitler Deutschland Unterstützung gab. So mußte Finnland alleine gegen die Sowjetunion kämpfen. Finnland schaffte es, sich rechtzeitig von der Wehrmacht zu befreien. Außerdem lag das Hauptinteresse Stalins an der schnellen Einnahme Berlins, anstatt Truppen zur Einnahme Finnlands zu entsenden. Die Sowjetunion gab sich schließlich mit Gebietsabtretungen und der Tatsache, dass sich Finnland vom Krieg an der Seite Deutschlands zurückzog, zufrieden.

Waren die Erfolge der kleinen finnischen Armee im Winterkrieg ausschlaggebend für Hitlers Fehleinschätzung der roten Armee, was letztlich den Untergang der Nazidiktatur besiegelte?

Herman Göring brachte diese falsche Propaganda nach dem Krieg auf. Er behauptete, dass sich Deutschland nach dem Winterkrieg in die Irre führen ließ und die sowjetische Schlagkraft deswegen unterschätzte. Das war reine Spekulation, um zu verbergen, dass die Nazi Führung zu viel riskiert hatte. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der finnische Erfolg von solcher Tragweite für den Kriegsverlauf war. Die Nazis hatten sich mit ihrem Unternehmen Barbarossa in fast jeder Hinsicht gründlich verschätzt und dazu mag der Finnland Feldzug einen Beitrag geleistet haben, der aber nicht entscheidend war. Was jeder Generalstab tut bevor er ein anderes Land angreift, ist eine gründliche Analyse des militärischen Potenzials des Gegners. Eine solche Bewertung hätte niemals allein auf dem finnischen Beispiel beruhen können.

Was sind die Gründe für die verhältnismäßig hohen Verluste auf sowjetischer Seite im Finnlandfeldzug?
Die sowjetische Armee war nicht genug dafür ausgerüstet, unter den dort herrschenden klimatischen Herausforderungen erfolgreich zu kämpfen, in schwerem Terrain schnell voranzukommen und den Nachschub zu organisieren. Da war die Truppe doch sehr rudimentär bestückt. Insbesondere im Winterkrieg 1940/41 versuchten die sowjetischen Truppen einen schnellen Sieg zu erringen, indem sie sich mehrmals durch den karelischen Isthmus durchzuschlagen versuchten, ohne ihren Gegner wirklich zu kennen. Es war eine armselige Taktik, die zu hohen Verlusten führte und ein Durchkommen so gut wie unmöglich machte. Das hätte schon eine Lektion aus dem 1. Weltkrieg sein sollen. Wohl hofften die Generäle, Stalin mit guten Berichten zu beeindrucken, was zum Festhalten an dieser selbstmörderischen und einfallslosen Strategie führte.

Schriftliche Verträge, die Finnland an die Nazis binden konnten, gab es nicht. Wie groß war der ideologische Einfluß auf die finnische Bevölkerung?

Das ist schwierig zu beantworten, da es hierzu keine Statistiken gibt. Es kommt darauf an, wen man fragt. Das ist je nach politischer Gesinnung verschieden. Wahr ist, dass das Deutsche Reich nach seinen militärischen Anfangserfolgen ein gefeierter Star in Finnland war, der eine Hoffnung gegen den übermächtigen Feind aus dem Osten sein konnte. Dies verkehrte sich gegen Ende des Krieges mit wachsender Desillusion in das Gegenteil.
Was ich jedoch bemerkenswert finde ist, dass es bis zum Ende der Finnisch-Deutschen Waffenbrüderschaft Leute gab, die Finnland an der Seite Deutschlands sahen, sei es nun Sieg oder Niederlage und die keinen separaten Frieden mit der Sowjetunion wollten.

Wurden Menschen in Finnland in Konzentrationslager verschleppt?

Finnen nein, aber sehr wohl Dutzende Ausländer, die von den finnischen an deutsche Behörden übergeben worden sind. So befanden sich darunter jüdische und polnische Flüchtlinge. Diese wurden teilweise nach Sachsenhausen, Dachau oder Ausschwitz verschleppt. Außerdem übergab die finnische Armee mehr als fünfhundert sowjetische Kriegsgefangene an die deutsche Sicherheitspolizei in Nordfinnland, welche diese wahrscheinlich zum großen Teil exekutierte.

Wie vollzog sich die Wandlung vom Freund zum Feind in der Bevölkerung?

Selbstverständlich gab es durch die jahrelange Waffenbruderschaft enge Bindungen zwischen Soldaten auf beiden Seiten und einen großen Widerwillen, gegeneinander zu kämpfen. Ursprünglich war vereinbart, dass die Deutschen einen geordneten Rückzug antreten und Finnen ebenso geordnet die geräumten Stellungen einnehmen sollten. Trotzdem kam es schließlich doch zu Kämpfen, die dann zu einem Krieg ausarteten, speziell als die Sowjetunion mehr Aktivität auf Seiten der Finnen gegen die sich zurückziehenden Deutschen verlangte. Es war von großem Interesse, der Sowjetunion keinen Grund zu geben, eine militärische Rolle in Finnland zu spielen. Allerdings verursachte die Politik der verbrannten Erde der Nazis, die sich bis in die Finnmark fortsetzte, großes Elend in Lappland und änderte die Sicht auf die Deutschen unter der finnischen Bevölkerung.

Wie sehen die Finnen Deutschland heute in Bezug auf diese Geschichte?

Das ist eine gute Frage und ein weites Feld. Es gibt ein beständiges Interesse an der Finnisch-deutschen Geschichte. Die Historie der deutschsprachigen Welt reicht bis ins Mittelalter zurück. Ich selbst und auch andere schrieben Bücher über die Zeit nach 1918. Es gibt Interesse in der Bevölkerung bei der Interpretation der Beziehungen und ein größeres Bewußtsein über den deutschen Einfluß in Finnland seit dem Mittelalter, sowie eine Anerkennung der deutschen Kultur. Ich habe meinen Sohn gebeten, Deutsch zu lernen (Oula liest und versteht Deutsch). In Bezug auf den 2. Weltkrieg sind die meisten Wunden geheilt, auch wenn die Erinnerung an die Zeit in Lappland bewahrt bleibt. Seit langer Zeit haben sich die Beziehungen zwischen beiden Ländern normalisiert.

Gibt es Freundeskreise, die sich auf historische Bande berufen?

Oh ja, so gibt es hier in Finnland die Finnisch-Deutsche Gesellschaft und in Berlin das Finnland Institut. Auch Leute, die sich für Militärgeschichte interessieren, erkennen die bedeutende Rolle an, die Deutschland gespielt hat.
Es gibt auch Leute aus dem Lager des politischen Rechtsaußen, die meinen, man solle Deutschland danken wegen der 1944 geleisteten Truppenverstärkung im Angesicht der sowjetischen Militär Offensive. Dies ist aber leider ein Versuch, die Nationalsozialistische Ideologie reinzuwaschen, indem man Hitler als Retter Finnlands in der Zeit der Not deklariert.

(Tatsächlich war die militärische Lage für die Deutschen viel verwickelter, denn es befanden sich noch mehr als zweihunderttausend deutsche Soldaten in Lappland, die Gefahr liefen, eingekreist zu werden. Anm. der Redaktion)

Vielen Dank für das Gespräch!

Auf des Messers Schneide

Der finnische Freiheitskampf, ein strategisch taktisches Husarenstück

Als Reisender in den Norden frage ich mich, wie es um die gemeinsame Geschichte meines Landes und den verschiedenen Reisezielen im Norden bestellt ist. Finnland ist ein besonderer Fall. Der Titel für den Artikel hätte auch heißen können: ‚der Feind meines Feindes ist mein Freund‘. Aber genau hier liegt der Hase im Pfeffer, ein wahres Minenfeld politischer Debatten bis heute!
In Wirklichkeit ging Finnland im Verlauf des 2. Weltkrieges Zweckbündnisse ein, um zu überleben, die bei genauerem Betrachten genial waren und Finnland einen Platz unter den freien Nationen nach dem 2. Weltkrieg sicherten. 1939 teilten die Diktatoren Adolf Hitler und Josef Stalin Polen in einem geheimen Zusatzprotokoll unter sich auf. Auf Stalins Menükarte befand sich weiter nördlich allerdings ein unerwartet vergifteter Apfel. Während die neu gezogenen Grenzlinien Polens im Osten bis heute gelten und die baltischen Staaten von der Sowjetunion quasi geschluckt wurden, leistete Finnland hartnäckig Widerstand. Nach dem ersten Überfall am 30. November 1939 und vernichtenden Niederlagen mit 130.000 gefallenen sowjetischen Soldaten, gelang es Stalin schließlich, die zu allem entschlossene kleine finnische Armee zwar zurückzudrängen, jedoch nicht zu besiegen.
Das Deutsche Reich erschien nach den schnellen militärischen Erfolgen in Westeuropa wie der kommende Star der Weltpolitik in den Augen vieler Finnen. Botschafter Blüchow sagte nach dem Inkrafttreten des Hitler-Stalin Paktes den Finnen aber lediglich diplomatische Unterstützung zu, ein Ansinnen, dass in Berlin zunächst auf Ablehnung stieß, ja für das er sogar abgemahnt wurde. Stalin wurde allerdings seitens der obersten Heeresführung (OHL) gedrängt, den Waffengang in Finnland schnell zu beenden, denn eine mögliche Kontrolle der baltischen See durch die britische Flotte war ein Schreckensszenario, das es zu verhindern galt.
Finnland, am Ende seiner Kräfte und ohne Reserven, musste nach dem Frieden von Moskau am 12. März 1940 Gebietsabtretungen und demzufolge Umsiedlungen erdulden, aber die Nation blieb bestehen. Zehn Prozent seines Landes verlor Finnland in diesem ersten Waffengang und zwölf Prozent der Bevölkerung mussten umgesiedelt werden. Finnland hatte 24 923 gefallene Soldaten zu beklagen und weitere 43 537 verwundete Soldaten zu versorgen, eine gewaltige Zahl in einem Land mit gerade mal 3,7 Millionen Einwohnern.
Englands Angebot nur eine Woche vor dem Waffenstillstand mit der Sowjetunion, eine fünfzigtausend Mann starke Kampftruppe stehe bereit und lediglich Norwegen und Schweden müssten dem Durchmarsch zustimmen, wurde von genannten Ländern abgelehnt. Finnland selbst war skeptisch, da es das Angebot als Vorwand sah, Eisenerz aus Skandinavien unter britische Kontrolle zu bringen. Tatsächlich war das Eisenerz aus Norwegen und auch Schweden wichtiger Rohstoff der Kriegsindustrie, so dass die Nazis Norwegen überfielen und im Spätsommer 1940 vor der nördlichen Grenze Finnlands standen. Finnland sah sich dadurch von möglichen westlichen Verbündeten abgeschnitten.
Die Leistung der Finnen im Winterkrieg gegen die Sowjetunion unter Marschall Mannerheim beeindruckte die Oberste Heeresleitung (OHL) und nicht zuletzt Hitler. Auf der anderen Seite war die Neueinschätzung der Schlagkraft der sowjetischen Truppen und daraus folgernd die Unterschätzung seitens der Heeresführung letztlich fatal für die Nazis. Ob sie entscheidend für die Planungen des Feldzuges ‚Barbarossa‘ waren, wird von Experten bestritten. Die Situation in Finnland mag die Wende gebracht haben, es war jedoch, wenn überhaupt, lediglich eine zeitliche Vorverlegung eines Schrittes in Richtung Osten, den Hitler ohnehin plante.
Finnlands erste Schlacht war geschlagen und erlaubte den nächsten Schritt auf dem Drahtseil der Weltpolitik, der letztlich zu Finnlands Überleben beitrug. Für die Nationalsozialisten auf der anderen Seite war es der Beginn der eigenen Vernichtung.
Der amerikanische Oberst Henrik O. Lunde analysiert die 1941 sich anbahnende Annäherung von Finnland und den Nationalsozialisten und prüft sie auf mögliche Vasallenschaft. Aus heutiger Sicht ist Finnlands Schritt mehr als nachvollziehbar. Während die baltischen Staaten von den Sowjets geschluckt wurden und Menschen zu tausenden in die Konzentrationslager Sibiriens verschleppt wurden, von wo aus sie die Wirtschaft für Jahrzehnte am Leben hielten (Alexander Solschenizyn ‚Der Archipel Gulag‘), kämpften die Finnen mit allem was sie hatten, einem solchen Schicksal zu entgehen. Wer kann ihnen das zum Vorwurf machen?
Zu Beginn des Krieges warnten die meisten deutschen Generäle vor einem Zweifrontenkrieg. Die Einschätzung änderte sich nach den schnellen Erfolgen im Westen und der armseligen Vorstellung der Sowjets in Finnland. Die Generäle unternahmen wenig gegen Hitlers Ansinnen, die Sowjetunion anzugreifen.
Geheime Vereinbarungen zwischen Finnland und der OHL führten zunächst zu Verbesserungen der Infrastruktur und schließlich der Öffnung eines Korridors für deutsche Truppen in Lappland. Den zunehmend misstrauischen Sowjets wurde die Truppenverlegung als eine Verteidigung gegen mögliche britische Angriffe verkauft, was insbesondere Außenminister Molotow schwer zu vermitteln war. Es wurde auf Zeit gespielt um das ‚Unternehmen Barbarossa‘, dem Überfall auf die Sowjetunion, bestmögliche Erfolgsaussichten zu gewähren. Den Nazis drängte es vor allem, die Erzvorkommen zu sichern und Murmansk ins Visier zu nehmen. Das bedeutete, die deutschen Truppen konzentrierten sich im Wesentlichen auf Lappland.
Finnland auf der anderen Seite drängte es danach, die verlorenen Gebiete zurückzugewinnen und im Rausch des Siegeszuges soll auch vor der Einnahme fremden Territoriums nicht zurückgeschreckt worden sein. Die Teilnahme am Feldzug gegen Leningrad (heute St. Petersburg) wurde von finnischer Seite jedoch verweigert.
Achtung vor dem Feind und deren Leistung gilt um so mehr unter Verbündeten. So gesehen ist es auch nicht verwerflich, wenn sich Waffenbrüder gegenseitig anerkennen. Generaloberst Dietl wurde mit der höchsten finnischen Kriegsauszeichnung bedacht. Hitler ehrte den finnischen Oberbefehlshaber von Mannerheim am 4. Juni 1942 zum 75. Geburtstag mit einem persönlichen Besuch in Finnland, was dieser noch im selben Monat mit einem Gegenbesuch beantwortete.
Andererseits wurde die Ideologie der Nationalsozialistischen Diktatur abgelehnt und das wurde auch akzeptiert. So kam es, dass jüdisch-finnische Soldaten Seite an Seite mit den Deutschen kämpften. Am bemerkenswertesten jedoch ist, dass Finnland keinerlei Abkommen mit Hitler schloss. Die gemeinsame Koordination gründete sich allein auf Waffenbruderschaft.
Mit den Rückschlägen an der Ostfront und der Invasion in der Normandie änderte sich die Lage und Finnland musste erneut um seine Unabhängigkeit bangen. Nun kam es zu Geheimverhandlungen mit den Sowjets über einen möglichen Frieden.
Oberbefehlshaber Mannerheim, der zwischenzeitlich zum Präsidenten Finnlands aufgestiegen war, schrieb Hitler einen Brief in welchem er sich von ihm und der gemeinsamen Zeit verabschiedete. Am Ende war es für Finnland von vitalem Interesse, dass es keine militärischen Einheiten unter deutscher Führung gab, bevor die Sowjets Pläne zur Übernahme Finnlands schmieden konnten. So kam es gegen Ende des Krieges noch zu bewaffneten Auseinandersetzungen mit den einstigen Verbündeten, bis diese schließlich aus Finnland vertrieben waren.
General O. Lunde beschäftigt sich ausgiebig mit dem Schicksal der deutschen 20. Gebirgsarmee deren 250 000 Mann starke Truppe einen Rückzug über zweitausend Kilometer nach Norwegen unternahm und unbesiegt in Norwegen nach Kriegsende die Waffen an die Alliierten übergab.
Am Ende war die finnische Unabhängigkeit unter Auflagen gesichert und Finnland ‚überwinterte‘ als freies Land bis zur endgültigen Zerschlagung des sowjetischen Imperiums.
Heute ist Finnland ein stolzes Mitglied der freien europäischen Gemeinschaft, wurde aber bis heute nicht Mitglied der NATO, im Gegensatz zu den baltischen Staaten die nach dem Fall der Sowjetunion keinesfalls mehr vom Wohlwollen ihres östlichen Nachbarn abhängig sein möchten.
Heute gibt es viele enge Freundschaftsbande zwischen beiden Ländern und die Deutsch-Finnische Gesellschaft bildet zahlenmäßig den größten nordeuropäischen Verein in Deutschland.

Klimawandel im Fokus

Nachdem die letzte arktische Kreis (Arctic Circle) Kongress 2020 Corona bedingt ausfiel war es heuer die erste Großveranstaltung in Island seit dem Ausbruch der Pandemie. 1400 Teilnehmer  aus 50 Ländern wiesen pflichtgemäß alle zwei Tage einen Antigen Test vor der zur Teilnahme an einem bunten Programm berechtigte welches überwiegend in der Harpa dem Kongresszentrum von Reykjavik ausgetragen wurde. 400 Beiträge füllten das Programm während drei Tagen im Oktober 21.

Ein Vertreter unsere Redaktion beobachtete für sie den ersten Tag des Kongresses den traditionellen Höhepunkt der Veranstaltung.

Im Zentrum der Eröffnungsansprachen der Hauptredner stand der Klimaschutz, das Thema welches die Weltöffentlichkeit neben der Pandemie derzeit wohl am meisten beschäftigt.

Während der Gründer des arktischen Kreises, der frühere Präsident Islands Olafur Grimsson noch die monumentale Aufgabe, nämlich die Realisierung des Kongresses in einem Umfeld der Unsicherheit,  mit den Worten „Wir haben es geschafft“ (We made it) Luft verschaffte und dafür zu Recht tosenden Beifall kassierte, war der Auftritt der Premierministerin Katrin Jakobsdóttir glanzlos. Nach den vollmundigen Ankündigungen der grünen Ministerin vor zwei Jahren, bildet Island heute das europäische Schlusslicht in der CO² Reduzierung. Ihre Partei verlor gut 5% der Stimmen bei den kurz zuvor ausgetragenen Parlamentswahlen und ist nunmehr lediglich dritte Kraft im Parlament. Anstelle von Apellen zum Klima mahnte sie mehr weibliche Präsenz an, in einem Saal gespickt mit weiblichen Führungskräften.

Der Vertreter der europäischen Union bekräftigte die Gedanken der EU unter dem Grundsatz „Wissen, Verantwortung, Engagement“ von 2012 und stellte eine Arktis-Strategie zur umfassenden Erforschung und umsichtigen, nachhaltigen Entwicklung vor. Laut einem am Vortag der hiesigen Versammlung veröffentlichten Papiers für die neue Arktis-Strategie wird die Europäische Union ein Verbot der Erschließung neuer Öl-, Kohle- und Gasvorkommen in der Arktis anstreben, um eine vom Klimawandel stark betroffene Region zu schützen. … „Die Arktis ist eine der am stärksten vom Klimawandel betroffenen Regionen“.

Das in der letztjährigen Ausgabe des Nordlandführers beschriebene Projekt MOSAIK des Alfred Wegener Instituts in der Arktis fand ebenfalls Platz während des Kongresses.

Im anschließenden Panel gespickt mit Vertretern eines neu geformten Arktis Komitees des weißen Hauses sowie der Senatorin Alaskas Lisa Murkowski stellte Herr Grimsson den Vertretern einige Fragen, darunter auch, ob man mit einer Gesinnungsänderung hinsichtlich der Arktis unter der Biden Administration rechnen könne. Ungefragt nahm die Senatorin das Kaufgebot für Grönland zurück. Grimsson antwortete, dass er dies bereits wüsste. Immerhin gab es zu keiner Zeit ein Verkaufsangebot Grönlands zumindest ist dies der Redaktion nicht bekannt. Die meisten Anwesenden fanden dies überaus amüsant, nicht so die Ministerin für Landwirtschaft aus Grönland Kalistat Lund. Es sei angebracht nicht über Grönland sondern mit den Grönländern zu reden, ein Seitenhieb auf die amerikanischen und EU Beiträge zum Thema. Die Ministerin welche den Premierminister Grönlands vertrat erklärte, dass es keine weiteren Lizenzen für Bohrungen nach Erdöl und Gas im Land geben werde. Des Weiteren stellte sie die Frage wieviel Wachstum nötig sei um Wohlstand zu generieren. Grenzen des Wachstums müssten früher gezogen werden um die Umwelt zu schonen. Nach Auffassung der Redaktion war es der substantiellste Inhalt des gesamten Hauptprogramms, da hier über reine Absichtserklärungen hinaus nachhaltige Gesetzesbeschlüsse zum Wohle der Umwelt vorgestellt wurden. Umso beeindruckender, da Bewohner der Arktis wohl die Einzigen sind welche von einer Erwärmung des Klimas profitieren würden. Die Ministerin stellte auch die Zusammenarbeit mit China, Südkorea und Japan heraus. Eigens angereist war eine Regierungs – und Experten Delegation aus Südkorea, welche mit einem aus 300 Wissenschaftlern und einem neuen Forschungsschiff zur Erforschung der Arktis auf sich aufmerksam machte. Die in den vergangenen Jahren starke Präsenz Chinas und der Russlands war diesmal nicht spürbar. So gesehen bildete Frau Lund auch einen Brückenschlag aus der westlichen Dominanz des Kongresses indem sie ihre „Vettern“* aus Ostasien mit ins Boot nahm.

Nicola Sturgeon die erste Ministerin Schottlands genoss ihren Auftritt, umso mehr als sie feststellte, dass ein Vertreter des britischen Unterhauses im Publikum saß. Der nördlichste Teil Schottlands sei der Arktis näher als dieser London, stichelte sie zufrieden. Herr Grimsson ließ es sich nicht nehmen zu kommentieren, dass es den Begriff „Erster Minister“ in Island nicht gäbe, stattdessen träfe hier der Titel des Premierministers eher zu, aber dies würde wohl zu diplomatischen Irritationen führen, fügte er schmunzelnd hinzu. Klar, dass der Unterhausabgeordnete alles andere als „amused“ über solche Bemerkungen war.

Die Ministerin welche ein treuer und gern gesehener Gast des arktischen Kreises ist stellte den anschließenden stattfindenden Klimagipfel COP26 in Glasgow vor. Beinahe prophetisch verkündete sie, dass es die möglicherweise letzte Chance sei das Klima zu retten.

Letzter Sprecher des Eröffnungsprogramms war der Außenminister Dänemarks Jeppe Kofod welcher die Frage eines Professors aus Island nach einem Plan B zurückwies. Gemeint war, ein Szenario welches die unaufhaltsame Klimaverschlechterung im Zentrum hat und sich mit möglichen Alternativen auseinandersetzt. Es gäbe keinen Plan B, genauso wie keinen Planeten B, war die engagierte Antwort des Ministers. Alles müsse getan werden um das Klima nicht kippen zu lassen.

Kurzum fast drei Stunden intensiver Beiträge ließen die Zeit im Nu vergehen und die Teilnahme vieler junger Menschen an dem Kongress lässt hoffen, dass das Thema Klima genauso ernst genommen wird wie die Pandemie. Zu guter Letzt verkündete der Veranstalter eine von Covid verschonte Veranstaltung. Vielleicht warf auch die Natur ein gnädiges Auge auf diese wichtige Veranstaltung, angesichts weltweit wieder steigender Infektionen.

  • Grönländer, wie auch alle sonstigen Inuit stammen ursprünglich aus Asien.

Mein Freund – Mein Feind – Mein Freund

Eine Novelle von Rohan Stefan Nandkisore

 „Kompanie, ein Lied!“ fordert Unteroffizier Pfützenreuther. Stimmen aus meinem Zug rufen zurück „Argonnerwald“, Argonnerwald ertönt es noch ein paarmal aus der Formation bevor es losgeht.

1941 erhielt ich den Marschbefehl für Finnland, genauer nach Lappland. Zweihundertfünfzigtausend Soldaten wurden insgesamt mobilisiert und bildeten die 20. Gebirgsarmee. Meine Kompanie sicherte neben anderen den Raum im Rücken der Masse der Streitkräfte, die in Richtung Murmansk vorrückte. Marschieren im tiefsten Winter in Lappland ist immer noch besser als bei einer Übung eingebuddelt bei minus 30°C in der Kälte zu verharren und auf die dummen Befehle des Uffz (Unteroffizier) zu hören, denke ich mir. Mann oh Mann, dass ich so einem Schwachkopf gehorchen muss, ist beinahe schlimmer als der finnische Winter! Trotzdem haben wir es ruhig, fast zu still. Unserem Zugführer fallen immer neue Verrücktheiten ein, um uns zu „beschäftigen“. Es steht eine Durchschlageübung an. Die Trennung von der eigenen Truppe soll simuliert werden und in kleinen Gruppen müssen wir in zwei Nächten und drei Tagen durch die Wälder und Seen zu einer vorbestimmten Zeit im Dorf Salla zum Frühstück eintreffen. Mein Gruppenführer ist Offiziersanwärter und ein fähiger Kerl, dem ich vertraue. Eine Karte und Kompass sind die einzigen Hilfen. Währenddessen spielt Hauptfeldwebel Volpers mit seinen Leuten den Angreifer und jagt uns mit Leuchtmunition über das Gelände.

An Schlaf ist nicht zu denken und in den wenigen Pausen werden Wachen eingeteilt, so daß abwechselnd ausgeruht wird. Unsere Gewehre, „die Bräute der Soldaten“, sollen wir mit unter unsere Decken legen. Aber von wegen, kollektive Befehlsverweigerung ist angesagt, keiner kontrolliert, keiner fragt, es ist einfach zu kalt. Wir ruhen in einfachen Unterständen aus, die eine finnische Einheit bereitgestellt hat. Sie besuchen uns heimlich und bringen heißen Tee und Rentierfelle. Was für eine Erleichterung! Völlig erschöpft kommen wir früh am zweiten Morgen in Salla an und treffen alle anderen Kameraden, die das gleiche Schicksal teilen, zum Frühstück. In der Gemeindehalle warten fleißige Helfer aus der Gemeinde mitleidig auf das Ende der stumpfsinnigen Ansprache des Kompanieführers, der über zähes Leder und Kruppstahl schwadroniert. Weder verstehen sie etwas, noch zeigen sich unsere finnischen Freunde interessiert, eine Übersetzung zu bekommen. Überhaupt machen sie, was sie wollen. Manchmal sitzen die Anführer der finnischen und deutschen Truppen zusammen und hecken etwas aus, eine Befehlskette zwischen beiden Parteien kann ich nicht ausmachen.

Nach dem Essen wird uns Schlaf befohlen. Wir ruhen den ganzen Tag und werden erst am Abend wieder kurz munter. Das Leben hier wäre ziemlich öde, wäre da nicht die finnische Kompanie, die uns zur logistischen Unterstützung zugeteilt wurde. Der Austausch zwischen Deutschen und Finnen ist locker und heiter. Am Sonntag lädt mich Keijo, ein junger Finne aus Kuusamo, zusammen mit einigen Kumpels zur Sauna am See ein. Die Hitze da drinnen ist trotz der extremen Winterkälte so groß, dass ich bald vor die Hütte muss. Aus einem quadratischen Eisloch in Ufernähe neben der Hütte sehe ich jemanden aus dem See klettern, Finnen lieben das. Meine ersten Versuche führen mich bis an die Waden ins eiskalte Wasser. Nach einem Monat schaffe ich es schließlich doch noch, ganz unterzutauchen. Leben wie ein Finne, gar nicht so schlecht, denke ich mir.

 Unsere finnischen Kameraden erzählen uns vom Winterkrieg und den unglaublichen Erlebnissen auf der karelischen Halbinsel. Die Sowjets wollten mit aller Macht hier durchbrechen. Die Wälder waren getränkt vom Blut russischer Soldaten. Der Abtransport der Leichen später muss eine Heidenarbeit für die Sowjets gewesen sein. Mehr als 100.000 Gefallene lagen da in den Wäldern. Ich kann es mir eigentlich nicht vorstellen, obwohl ich so einige Schlachten miterlebte.

Inzwischen ist der Vormarsch unserer „Unbesiegbaren“ in Russland ins Stocken geraten, so hören wir. Die 20. Gebirgsarmee hat Murmansk auch nicht eingenommen und verharrt im Stellungskrieg. Da haben wir es beim Nachschub doch wesentlich besser, vom täglichen Drill mal abgesehen. Diesmal knöpft sich unser Spieß, ein Hauptfeldwebel, den Gefreiten Stemmler vor: „Stemmler, Sie sehen von vorne aus wie eine Frau von hinten, schneiden sie sich gefälligst die Haare“ dröhnt es. Das schwerste ist, beim Unterdrücken des Lachens nicht zu zerplatzen und sich so eine extra Portion Panzer putzen einzuhandeln. Die tägliche Routine endet am Nachmittag. Ich freue mich darauf, mit Keijo angeln zu gehen. Im Gegensatz zu mir ist seine Motivation hoch. Er möchte sein Heimatland um jeden Preis verteidigen. Ich dagegen will vor allem wieder gesund nach Hause kommen.

Kürzlich erzählte mein Gruppenkamerad Kunz von seiner plötzlichen Berufung nach Helsinki zum Besuch des Führers in Finnland. Generaloberst Mannerheim, Oberbefehlshaber der Finnen, hatte einen runden Geburtstag und Hitler rückte an, um ihm zu gratulieren. Kunz wurde wegen besonderer Tapferkeit vorm Feind mit der Ordonnanz bedacht und kam ihm so ganz nahe. Von Schönwetterkanonen soll Hitler erzählt haben und dass diese ihn gehindert hätten, dem Feind im Westen nach der Blitzattacke durch die Ardennen den Garaus gemacht zu haben.

Also Pfeil und Bogen haben wir hier nicht und schönes Wetter sieht anders aus. Die Motoren laufen wegen der Kälte beinahe ständig. Einer der besten Plätze während der Wache ist auf einer Motorhaube zu sitzen, nur erwischen lassen darf man sich dabei nicht. Einmal werde ich von einem Fähnrich während der Wache geweckt und daraufhin von einer möglichen Beförderung ausgeschlossen. Ich bleibe Obergefreiter, während die meisten meiner Kameraden zu Hauptgefreiten werden, die höchstmögliche Auszeichnung unter den Mannschaftsdienstgraden.

„Also Schultze, das hätte ich nicht von Ihnen gedacht“, schnauzt mich unser Hauptmann vorwurfsvoll an. Von nun ab bin ich von Führungsaufgaben in der Mannschaft entbunden, bleibe aber Vertrauensmann, da mich die Kameraden in dieser Rolle haben möchten. Ein Seelentröster ohne Machtbefugnis, der aufpassen muss was er sagt, ich hasse diese Aufgabe eigentlich. Frei nach Schnauze geht es nach einiger Zeit, in der wir Vertrauen aufbauten, nur mit Keijo und zwei Gleichgesinnten aus meiner Gruppe zu.

Bei einer unserer nachmittäglichen Brotzeiten werden wir von Motorengeräuschen aufgeschreckt. Am Himmel entdecken wir eine Rotte aus fünf Fliegern. Kurz danach wird die Gegend mit einem Bombenteppich belegt und schon sehen wir feindliche Grenadiere in unsere Richtung voranschleichen. Sie rechnen nicht mit uns, da wir uns unerlaubt rund zwei Kilometer vor unser Lager begeben haben und übergehen uns im wahrsten Sinne des Wortes. aber wir sind abgeschnitten. Wir können nur warten. Wäre Keijo nicht mit uns, wir wären verloren. Er kriecht voran, vorbei an Freund und Feind und schließlich erreichen wir einen verborgenen Unterstand. Hier können wir warten, ohne zu erfrieren. Stunden vergehen. Keijo verschwindet in dieser Zeit alleine und kommt mit Proviant zurück. Seine Einheit ist über unsere Situation informiert und bereitet eine ihrer berüchtigten Einkesselungen vor. Sie kreist einen Teil der Sowjets in unübersichtlichem Gebiet ein, schneidet sie vom Rest der Truppe ab und diese befindet sich dann im Würgegriff der Finnen. Diese Strategie wurde in zahllosen Gefechten erfolgreich eingesetzt, erzählt uns Keijo. Dieses Mal kann ich es selbst erleben, während wir geschützt in Deckung das Rattern der Maschinengewehre und gelegentliches Granatfeuer vernehmen. Die Finnen gehen hier keineswegs zimperlich vor. Aus so einer Einkesselung kommt kaum ein Sowjet lebendig wieder raus.

Meine Einheit kann sich ebenfalls durch die rechtzeitige Warnung durch unsere finnischen Freunde dem Angriff der Sowjets erwehren. Keijo kommt mit zum Hauptmann, denn wir müssen erklären, was wir so weit draußen getrieben haben. Keijo rettet uns ein zweites Mal. Er lügt, dass sich die Balken biegen und erzählt von einem heldenhaften Einsatz, der zu seiner Rettung und der seiner ganzen Einheit beigetragen habe, dabei fallen unsere Namen und unsere Rollen, die wir in diesem Schauspiel der besonderen Art eingenommen haben sollen. Stemmler setzt noch einen drauf und erzählt vom Einbruch in das Eis und einem Phantasiemarsch, der unsere Durchschlageübung wie einen Sonntagsspaziergang aussehen lässt. Hauptfeldwebel Volpers starrt uns mit großen Augen und offenem Mund an. So etwas hat er Stemmler gar nicht zugetraut, aber Keijo nickt währenddessen bejahend, von kurzen Unterbrechungen begleitet. Später erzählt er uns lachend, dass er Angst hatte, Stemmler würde etwas von einem Ungeheuer im See oder Ähnlichem erzählen.  Wir lachen Tränen, den zuckenden Bart des Hauptfeldwebels vor Augen.

Ansonsten gibt es nicht viel zu lachen und unsere Extrawürste wurden aufgrund des anrückenden Feindes in den kommenden Monaten seltener. Dem herannahenden Frühling 1944 und dem einsetzenden Tauwetter haben wir es zu verdanken, dass Gefechte mit dem Feind überschaubar bleiben und wir unsere Stellungen nicht ändern müssen. Der matschige Untergrund lässt alles schwere Gerät versinken und Geländegewinne werden so für Freund und Feind unmöglich. Unsere ruhige Nachschub Mission endet und wird zum Flankenschutz für den Rückzug der 20. Gebirgsarmee. Es ist eine traurige Zeit, denn Treffen mit unseren finnischen Freunden werden seltener. Die finnische Führung, so hören wir von Keijo, sei besorgt über die Zukunft ihres Landes. Keijo und seine Freunde sahen sich bisher an der Seite Deutschlands, egal was da kommen mochte. Eine dringend benötigte Verstärkung an der Front wird von Hitler genehmigt und verhilft den Finnen zu einer Atempause. Das befeuert das Ansinnen vieler aus der kämpfenden Truppe, die Treue zu den deutschen Waffenbrüdern zu bewahren.

Die Nachrichten aus der Heimat verheißen nichts Gutes. Meine Heimatstadt wird zerbombt und ich weiß nicht, ob und wer meiner Angehörigen überlebt hat. Ich hege den Gedanken, zu desertieren und mich nach Deutschland über das neutrale Schweden abzusetzen. Gleichzeitig überschlagen sich die Ereignisse in Lappland, Keijo und seine Einheit wird abgezogen. Wir hören vom geordneten Rückzug unserer Truppe nach Westen und dem Einnehmen unserer Stellungen durch die Finnen, die sich mit den Sowjets verbündet haben, um diese so aus Finnland heraus zu halten. Diese, so erfahre ich Jahre später, forderten aber wohl mehr Einsatz der Finnen. Unsere tiefempfundene Freundschaft durch zahllose gemeinsame Einsätze wird aufs tiefste erschüttert und der Schmerz, den wir fühlen, als finnische Einheiten und wir in Kämpfe gegeneinander verwickelt werden, ist kaum zu beschreiben. Ehebruch kann nicht schlimmer sein, ja so empfinden wir.

Unsere Militärführung entscheidet in den letzten Wochen, verbrannte Erde in Lappland zu hinterlassen, um es dem nachrückenden Feind so schwer wie möglich zu machen. Flüchtlingskonvois zu Hunderten passieren nicht weit von unseren Stellungen in Richtung Schweden. Mein Mitleid hielt sich damals in Grenzen. Heute, viele Jahre später, sehe ich das anders: Mit Deutschland wäre Finnland untergegangen und Teil der Sowjetunion geworden. Fünfundvierzig Jahre in Gefangenschaft und Isolation für eine Waffenbrüderschaft zu bezahlen, kann man nicht verlangen.

Meine Freundschaft zu Keijo hält auch nach dem Kriegsende und wir schreiben uns zunächst, bis ich nach vielen Jahren endlich zurück in die Wälder Finnlands reise und mein erstes Eisbad nach einem ausgiebigen Saunagang mit Keijo genieße. Diesmal ohne missliebige Schwachköpfe, Wachen und Feinde. Dafür treffe ich einige Bewohner von Salla wieder, die mir damals mit ihrem heißen Kakao nach bitterkalten Nächten neue Lebensfreude eingehaucht hatten. Der Schmerz auf finnischer Seite scheint verflogen, aber die Erinnerung wird bewahrt. So besuche ich einen deutschen Soldatenfriedhof und wünsche mir eine Brüderschaft ohne Waffen zwischen Finnen und Deutschen.

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„…und bewahre uns vor dem Zorn der Nordmänner!“

Eine Novelle von Rohan Stefan Nandkisore

Es ist noch früh am Morgen als Bernadette sich zum Ufer des nahen Flusses aufmacht. Die Hitze des vorangegangenen Tages war durch ein heftiges Gewitter beendet worden und die darauf folgende Kühle der Nacht hat bei Sonnenaufgang eine Nebelbank über der Seine entstehen lassen. Bernadette ist die erste, die sich zum Wäsche waschen aufgemacht hat. Ein fröhliches Lied trällernd geht sie an ihre Arbeit, denn es sieht ganz so aus als würde es heute wieder ein schöner Tag werden. Die Stille, die den Fluss umgibt, fällt ihr nicht auf. Kein Vogel, keine Katze ist in der Nähe und weder nah noch fern kräht ein Hahn, ganz so als wäre diese Stille Vorbote dessen, was sich im Nebel auf der Seine, noch unsichtbar für Bernadette, zusammenbraut. Nordmänner oder Wikinger, wie sie später voll Furcht und Grauen genannt wurden, haben vor langer Zeit ihre Heimat verlassen und sich zusammen geschlossen um auf Raubzüge zu gehen. Sie waren nicht freiwillig gegangen, sondern gezwungenermaßen. Das Land ihrer Familien in ihrer Heimat konnte sie nicht ernähren, das Erbe war aufgeteilt worden und sie waren außen vor geblieben. Als Knechte auf den Höfen ihrer Väter und Brüder wollten sie nicht arbeiten. Zu stolz waren sie als dass sie solch niederen Dienst hätten ertragen können. Die ungeschützten Ufer Britanniens und Irlands gehörten zu den ersten verlockenden Gestaden, wo es reichlich Beute zu holen gab und wo sie die überlegene Technologie ihrer Boote zu ihrem Vorteil nutzen konnten. Dies war aber nur der Anfang, denn schon bald kamen ihnen auch die Dörfer an den Küsten Europas und an deren befahrbaren Flüssen für ihre Beutezüge gelegen. Die Wetterlage ist ein Glücksfall für die Nordmänner. Im Schutze des Nebels gelingt es ihnen, unbemerkt ganz nahe an die Ortschaft in einem Tal der Seine heranzukommen. Sie sind weit ins Landesinnere vorgedrungen und Paris ist nicht mehr fern. Insgesamt sind es dreißig Langboote mit ebenso vielen mit Schwertern und Beilen bewaffneten Wikingern an Bord eines jeden Bootes. Diese Boote sind Meisterwerke ihrer Zeit, die den Stürmen der Nordsee und des Nordatlantiks trotzen. Perfekt angepasst an das Element Wasser gleiten sie ihrem Ziel zu, während die Ruder fast lautlos durch das Wasser gleiten. Als Bernadettes Blick zur Nebelbank schweift, ist es schon fast zu spät um zu reagieren. Nur wenige Meter vor ihr taucht plötzlich eine Bugspitze aus dem Nebel auf. Fast wie gelähmt vor Angst starrt sie einen Moment lang auf die Helme der kampfbereiten Meute an Bord. Einige haben sich mit Berserkerpilzen (gemeiner Fliegenpilz) in Stimmung gebracht um das blutige Handwerk leichter von der Hand gehen zu lassen. Ist es die Wäsche in ihren Händen und ihr fröhlicher Gesang bei der fleißigen Arbeit, der ihnen schon geraume Zeit von Weitem in den Ohren klang, dass selbst diese Raubeine Respekt vor ihr haben oder übergehen sie das Mädchen, von dem ja ohnehin nicht viel zu holen ist, ganz einfach? Soviel ist sicher: später, wenn ihr Raubzug erfolgreich beendet sein würde, dann nähmen sie Bernadette gern als Beute mit. Jetzt aber fügt ihr dieser erste Ansturm am Ufer keinen Schaden zu. Sie sind nicht zum ersten Mal hier. Das Grauen, das sie verbreiten, hinterläßt einen nachhaltigen Eindruck, so dass bis ins 19. Jahrhundert hinein in den Kirchen Fürbitten abgehalten wurden, deren Wortlaut den Geistlichen noch heute bekannt ist: „ …und bewahre uns vor dem Zorn der Nordmänner.“ Der Schrecken der Wikinger-Raubzüge endete bereits im 10. Jahrhundert, aber die Erinnerung daran hat sich fast ein Jahrtausend lang in die Herzen der Menschen eingebrannt. Bernadettes erster Schock wandelt sich in große Sorge um ihre Familie, die nur wenige Häuser vom Ufer entfernt wohnt. Sie rennt so schnell sie kann in einem Bogen an der Horde vorbei und erreicht ihre Hütte noch vor den Wikingern. Aber wie soll sie es schaffen, ihre Angehörigen rechtzeitig in Sicherheit zu bringen? Sie schreit durch die Gassen, dass die Nordmänner gekommen sind. Es gelingt ihr, die Leute zu warnen, so dass diese buchstäblich Hals über Kopf ihre Häuser verlassen und um ihr Leben rennen und sich im unwegsamen Hinterland in Sicherheit bringen. Außer ein paar Schrammen und kaum nennenswerten Wunden ist den Angreifern die Überraschung gelungen und sie machen reichlich Beute. Lange halten sie sich jedoch nicht auf und so schnell sie gekommen waren, rudern sie nach weniger als einem halben Tag mit ihren schwer beladenen Booten wieder in Richtung Mündung fort.

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Aus Feuer und Eis geschmiedet

Wäre der nachfolgende Bericht den Isländer Sagas entnommen, würde er dem Reich der Sagen zugerechnet werden: Eine Mär die sich entweder geltungssuchende Nachfahren der Hauptperson oder phantasievolle Erzählkünstler ausgedacht hätten.
Guðlaugur Friðþórsson, die Person, um die es sich hier dreht, ist heute 59 Jahre alt und lebt auf Heimæy, der größten der Westmännerinseln im Südwesten vor der isländischen Küste, auf der er auch geboren wurde. Guðlaugur verbrachte seine Kindheit in einer kleinen Gemeinde, die sich seit Jahrhunderten auf der einzigen dauerhaft bewohnten Insel Heimæy behauptet hat. Auf heute 13,4 Quadratkilometern (damals war sie noch kleiner) spielte sich das Leben von wenigen Hundert Menschen ab. Die Geschichte der Inseln ist dramatisch und beginnt mit der Erschlagung irischer Sklaven durch Wikinger zur Zeit der Landnahme im 9. Jahrhundert n.Chr. Im 17. Jahrhundert überfielen sogar algerische Korsaren
die Inseln und nahmen zweihundert Geiseln mit sich, aber das ist eine eigene Geschichte. Mit dem Beginn der Fischerei begann das große Sterben auf See. So ist verbürgt, dass durch zwei Stürme jeweils an die fünfzig Seeleute zu Tode kamen.
1963 machten die Westmännerinseln auf sich aufmerksam, als ihre „Schwester“, die Insel Surtsey, aus dem Meer geboren wurde, ein Ereignis, das die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf sich zog. Diese jüngste vulkanische Insel ist bis heute ein Naturreservat und nur mit Genehmigung darf man sie betreten.
Guðlaugur war gerade mal elf Jahre alt, als ein Vulkan 1973 seine Insel in Brand steckte.
Diesmal hatten die Bewohner Glück, alle konnten gerettet werden. Elf Jahre später, im Jahr 1984, hat Guðlaugur ein außergewöhnliches Erlebnis, bei dem er etwas über sich erfährt, dessen er sich bis zu jenem denkwürdigen Ereignis nicht bewusst war und das auch
niemand für möglich gehalten hätte. Was war geschehen?
Nach einer kurzen Nacht begibt sich in den frühen Morgenstunden eine Fischerei Crew, bestehend aus Guðlaugur und seinen besten Freunden, an Bord eines kleinen, rostigen Fischdampfers um ihrem Tagewerk nachzugehen. Es ist Winter und die eiskalte Dunkelheit
ist noch nicht gewichen. Die Temperaturen bewegen sich um den Gefrierpunkt und das Wasser liegt nur wenige Grade darüber. Der Film Djúpið,“ die Tiefe“ (ein Spielfilm
mit dokumentarischen Anspruch) zeigt, wie sich zum wiederholten Mal das Grundnetz des Bootes um einen Stein am Grund legt, mit fatalen Folgen. Was dem Zuschauer
wie ein tollpatschiger Unfall mit Todesfolge vorkommt, weil nämlich weder der Motor ausgeschaltet wird, noch Seil gegeben wird und somit das Boot in der Dunkelheit
kentert, ist ein Drama, dessen Auswirkungen im Nordatlantik nicht unbekannt sind.
Nachdem sich drei Besatzungsmitglieder, darunter Guðlaugur, an der Unterseite des gekenterten Schiffes festgeklammert hatten und Versuche, das Rettungsboot aus
der rostigen Verklammerung zu lösen, gescheitert waren, geschieht das, was allen widerfährt, die in dieser Kälte länger als fünf Minuten zubringen müssen: Unkoordiniertes Verhalten verursacht durch kaltes Blut im Gehirn, eine schleichende Ohnmacht und Tod durch Ertrinken und/oder Herzversagen. Guðlaugur versucht, seine Freunde durch Zureden zum Durchhalten zu bewegen, aber es hilft nichts, sie sind verloren. Er jedoch stirbt nicht,
er wartet auf den Tod aber der tritt nicht ein. Die Küste der Westmännerinseln ist nur wenige Kilometer entfernt und wäre bei Tageslicht klar sichtbar gewesen, jedoch
schier unerreichbar. So aber, in der Dunkelheit, sieht man nichts und Guðlaugur kann auch keine Lichter sehen, da dieser Teil der Insel unbewohnt ist. Es ist eine Möwe, die
sich neugierig zu dem neuen Meeresbewohner gesellt. Mit ihr spricht er und versucht, sich an ihr zu orientieren. Sechs lange Stunden schwimmt er mit übermenschlicher
Anstrengung durch das zum Glück ruhige Meer. Er wünscht sich, seine Leute an Land nur noch einmal sehen zu dürfen, bevor er sich in sein Schicksal fügen und bereitwillig sterben würde. Das unglaubliche geschieht: Er erreicht die Küste, muss sogar noch einmal zurück ins Wasser, da er an der Steilküste keine Stelle findet, um an Land zu klettern. Schwere Brecher machen ihm zu schaffen, doch schließlich kriecht und klettert er über die Steilküste an Land. Die Lava schlitzt sein Füße auf, brennender Durst quält ihn. Als er eine alte Badewanne sieht, die als Pferdetränke dient, durchschlägt er das dicke Eis und verletzt sich dabei, aber er kann seinen Durst löschen. Er schafft es nach Heimæy und bricht vor dem Eingang eines der ersten Häuser zusammen. Ein Junge entdeckte ihn und ruft seinen Vater um Hilfe, damit der den, wie er meint, Betrunkenen fortjagen solle. So endete eine Geschichte, die eigentlich nicht wahr sein dürfte. Guðlaugur leidet an den Folgen des Erlebten und teilt dem Nordlandführer mit, dass er sich eigentlich gewünscht hätte, das Schicksal seiner besten Freunde teilen zu dürfen. Auch hätte er sich gewünscht, dass der Film erst nach seinem Tod erschienen wäre. Hier teilt er das Schicksal so mancher bekannter Wunderhelden aus dem Reich der Phantasie, die mit ihren übernatürlichen Fähigkeiten einsam dastehen. Aber ist er wirklich der Einzige? Vielleicht gibt es noch mehr solcher unglaublichen Kerle auf Heimæy, die aus Eis und Feuer geboren und von der Natur gesegnet wurden und es wohl niemals erfahren werden, es sei denn, sie werden so wie Guðlaugur durch ein Schicksal dazu gezwungen, wer weiß?

(Bis heute gibt es trotz intensiver Untersuchungen keine natürliche Erklärung für das Überleben von Guðlaugur Friðþórsson.)

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